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Gedanken aus Washington D.C.
Müssen wir nur den Unternehmen zuhören?
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Müssen wir nur den Unternehmen zuhören?

Nein, bitte nicht! Die Abgründe von Deutsche Bank, Volkswagen und Wirecard wirken bis heute nach. Haben Politik und Wirtschaft aus ihren Fehlern gelernt?
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Liebe Leserinnen und Leser,

in den USA ist einiges los, in Deutschland ist einiges los. Allerdings möchte ich in dieser Woche ein Thema setzen, das zwar nicht (akut) die Titelseiten der Medien bestimmt, aber in Zukunft eine große Rolle spielen wird.

Es geht um unsere Wirtschaft und unsere großen Unternehmen. Ich möchte in diesem Newsletter bewusst eine konträre Rolle einnehmen, weil ich es für wichtig halte, dass wir über dieses Thema sprechen.

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Um was geht’s?

In den vergangenen Wochen und Monaten habe ich im Kontext der schwächelnden Wirtschaft in Deutschland oft diesen (oder einen ähnlichen) Satz gehört: “Wir müssen jetzt endlich mal wieder den Unternehmen zuhören, damit unsere Wirtschaft nach vorne kommt.” Der Satz wird gerne von Politikern auf Wahlkampfveranstaltungen gebrüllt oder in den sozialen Medien gepostet, um sich schnellen Applaus abzuholen.

Ich habe mir allerdings immer öfter die Frage gestellt: Was ist eigentlich dran an der Behauptung?

Bevor ich die Frage beantworte, ist eine Bestandsaufnahme der aktuellen wirtschaftlichen Situation in Deutschland wichtig. Die Lage ist - in der Tat - besorgniserregend. Dazu habe ich vor einigen Wochen einen Gastbeitrag für für die Uruguayisch-Deutsche Gesellschaft für Außenpolitik geschrieben.

Mein Argument: Es wäre ja nun wirklich der einfachste Trick der Welt, wenn man nur die Fehler der Ampel-Regierung der vergangenen drei Jahre zurückdrehen müsste, und schon würde unsere Wirtschaft wieder anfangen zu brummen. Leider ist die Lage ernster und die Probleme tiefer verankert. Vielmehr braucht Deutschland ein neues Geschäftsmodell. Und dieses neue Geschäftsmodell brauchen wir (und in dem Punkt bin ich absolut der Meinung, dass wir vor allem dem deutschen Mittelstand zuhören sollten) ziemlich schnell!

Ich möchte aber auf einen anderen Bereich der deutschen Wirtschaft hinaus und über die (ehemals) großen Vorzeige-Unternehmen sprechen, die meiner Meinung nach eine große Verantwortung daran tragen, dass wir uns heute in einer wirtschaftlich so schwierigen Lage befinden.

Man könnte die Situation natürlich auch einseitig betrachten und nur der Politik die Schuld in die Schuhe schieben. Wenn man so einseitig argumentieren will, dann könnte man wiederum sagen: Die Ideenlosigkeit und Verwaltungspolitik der Union unter Angela Merkel hat den Grundstein für die Wirtschaftsmisere in Deutschland gelegt und die Ampel-Koalition hat mit ihrem Chaos in den vergangenen drei Jahren dann den Sargnagel reingehauen.

Hört sich einfach und verständlich an, ist aber nur die halbe Wahrheit!

Vielmehr war es das Zusammenspiel über einen Zeitraum von über 30 Jahren zwischen den großen deutschen Unternehmen und der Politik, das uns nicht nur in eine schlechte Lage reingeritten hat, sondern auch unsere Marke “Made in Germany” beschädigt hat.

Die miserablen Strategien (und teils kriminellen Machenschaften) einiger Unternehmen haben, gepaart mit der Ahnungslosigkeit und Naivität einiger Politiker, dafür gesorgt, dass ein großer Schaden angerichtet wurde. Dafür kann selbst Robert Habeck nichts. Angela Merkel trägt allerdings mehr Verantwortung, wie sich in meiner Analyse zeigt.

Hier kommen drei Beispiele aus der (nicht allzu entfernten) Vergangenheit.

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Deutsche Bank*

*Das (meiner Meinung nach) beste Buch über die Deutsche Bank hat der Investigativ-Journalist Dirk Laabs 2018 veröffentlicht. Ich werde in den kommenden Abschnitten teilweise aus dem Buch zitieren.

Ich komme aus einer Generation, die gerade ihr Abitur machte, als die Finanzkrise die ganze Welt verändert hat. Erst später habe ich gelernt, welche Rolle die Deutsche Bank davor und währenddessen gespielt hat. Was viele in meiner Generation heute nicht mehr wissen (können): Die Deutsche Bank war in der Zeit vor der Finanzkrise mal die größte Bank der Welt.

Die Bank war allerdings auch maßgeblich für die Finanzkrise verantwortlich und deutsche Politikerinnen und Politiker ließen sich über Jahre hinweg (gerne) von dem vermeintlich feinen und erfolgreichen Geldhaus über den Tisch ziehen.

Den Grundstein für die große Deregulierung der Banken legte die Rot-Grüne Regierung unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder. Damals sollten unnötige Belastungen der deutschen Finanzdienstleistungsindustrie vermieden werden. Die Deutsche Bank wird das gefreut haben.

Angela Merkel übernahm im Jahr 2005 die Regierungsgeschäfte, ein Jahr später wurde ein gewisser Josef Ackermann der Vorstandsvorsitzende der Vorzeigebank.

Dirk Laabs schreibt in seinem Buch über das Jahr 2006:

“Spätestens im Frühjahr 2006 wurde klar, dass der Hypotheken- und damit der CDO-Markt [Collateralized Debt Obligation] sich nicht mehr von alleine trug. […] Das Team der Deutschen Bank, das die Hypotheken zu neuen Wertpapieren machte, griff nun immer plumper in den Ablauf ein. Man manipulierte Zahlen, Daten, missachtete deutliche Warnungen oder vertuschte ihren brisanten Kern. Die Hypothekenparty war im Frühjahr 2006 eigentlich vorbei, aber das wollte man nicht einsehen. Die Ignoranz führte zu einer infamen Betrugskette.”

Die Politik hingegen war ahnungslos und konnte sich nicht vorstellen, was nur zwei Jahre später Realität wurde: die schlimmste Finanzkrise der Nachkriegszeit.

Der vorläufige Höhepunkt der politischen Naivität und Unwissenheit wurde im April 2008 erreicht (die Finanzkrise war zu diesem Zeitpunkt schon in vollem Gange; nur fünf Monate später kam es zum Crash der US-Bank Lehman Brothers).

Laabs erläutert in seinem Buch:

“Am Dienstag, den 22. April 2008, lud Angela Merkel für den Abend ins Kanzleramt. Dreißig Gäste versammelten sich in einem großen, hellen Raum im achten Stock, in dessen Mitte ein Tisch festlich gedeckt war. […] Die überwiegend konservative Runde feierte nachträglich den 60. Geburtstag von Josef Ackermann. Der Chef der Deutschen Bank hatte zwar schon am 1. März eine große Party in der Münchner Residenz am Odeonsplatz ausgerichtet, Merkel hatte sie aber verpasst. […] Das Kanzleramt richtete den Abend hochoffiziell aus, somit zahlte der Steuerzahler für Steaks, Gambas, Trüffelleberwurst, für den Spargel und den Feigensenf. […] Merkel und ihr Team machten sich fast ein Jahr nach Ausbruch der Krise wohl immer noch keine Vorstellung davon, was auf sie zukommen würde.”

Die Einseifung der Politik inklusive Kanzlerin war somit komplett. Der Rest ist gewissermaßen Geschichte. Die Frage, die bleibt: Lernten Politikerinnen und Politiker aus ihren groben Fehlern? Der spätere Fall von Wirecard sollte zeigen: nein - ganz im Gegenteil.


Kennen Sie schon meinen Podcast mit Gerald Knaus?


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Volkswagen

Während die Zeit meines Abiturs von der Finanzkrise geprägt war, so war die Zeit kurz nach meinem Studium im Jahr 2015 vom sogenannten “Dieselskandal” rund um den ehemals größten Autobauer der Welt geprägt: Volkswagen.

Der ehemalige Vorstandsvorsitzende (und mittlerweile angeklagte) Martin Winterkorn hatte im Jahr 2014 noch vollmundig erklärt, dass man so einen großen Vorsprung habe, dass man diesen gar nicht mehr aufgeben könne. In Richtung Tesla sagte er: “Wir lassen uns die Butter nicht vom Brot nehmen.”

Wenig später war Volkswagen in einen handfesten Wirtschafts- und Betrugsskandal verwickelt, der den Autobauer Milliarden kostete. Auch hier, wie bei der Deutschen Bank, war eine hochgradig kriminelle Komponente im Spiel, die nicht nur dem Ansehen der deutschen Autoindustrie schadete, sondern auch dem Ansehen deutscher Gründlichkeit und Integrität.

Heute, im Jahr 2025, ist die Lage für Volkswagen ernst. Die vergangenen Monate waren geprägt von Überschriften zu Werksschließungen und Entlassungen von Mitarbeitern. Spätestens jetzt steht auch fest: Volkswagen hat vor zehn Jahren nicht nur kriminell gehandelt, sondern auch schwerste strategische Fehler gemacht und somit einen großen Teil des E-Auto-Markts verschlafen.

Die Chefin der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, erklärte in einem Interview mit der WirtschaftsWoche im September 2024, dass der Konzern vor allem unter dem Absatzrückgang im chinesischen Markt leide: “Auf dem chinesischen Markt spielen Verbrenner eine immer kleinere Rolle, die Chinesen kaufen stattdessen einheimische Elektroautos, die vor allem auch mit besserer Software und technischer Ausstattung überzeugen. VW tut sich offensichtlich schwer, hier konkurrenzfähig zu werden.”

Die Wirtschaftsexpertin kommt zu dem knallharten Schluss: “Viele der Probleme bei VW sind hausgemacht. Die auszubaden kann nicht Aufgabe der Politik sein.”

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Wirecard

Zum Schluss, der absolute Höhepunkt und eine Geschichte, die nicht nur Wirtschafts- und Betrugsskandal ist, sondern letztlich ein Agenten-Krimi, der bis heute noch nicht komplett aufgearbeitet ist. Es geht um Wirecard.

Den ehemaligen CEO von Wirecard (und heute in U-Haft sitzenden), Markus Braun, habe ich im Jahr 2018 auf einer Konferenz in Wien erlebt. Er hielt einen Vortrag - er sprach über Wirecard als “FinTech” - und ich habe mir damals gedacht: Ich verstehe nicht, was genau Wirecard eigentlich verkauft oder welche Dienstleistung das Unternehmen anbietet. Mir war es allerdings zu peinlich, nachzufragen.

Wie sich herausstellte, war mein Bauchgefühl richtig und Wirecard war ein Unternehmen, das nichts verkaufte, sondern eines der größten Milliardengräber in der deutschen Wirtschaftsgeschichte hinterlassen würde. Zudem wurde es, wie wir heute wissen, von einem russischen Agenten (Jan Marsalek) gesteuert.

Die Geschichte von Wirecard muss ich hier nicht nochmal im Detail erklären, ich empfehle allerdings das Buch von Dan McCrum, dem Investigativ-Journalisten, der den Fall zum großen Teil aufgedeckt hat.

Über Dan McCrum komme ich - und somit schließt sich der Kreis - wieder zur Rolle der Politik und zu der Antwort auf die Frage, ob die Politik aus den Fehlern, die sie bei der Deutschen Bank gemacht hatte, gelernt hat. Leider hat sie nicht nur nicht aus den Fehlern gelernt, sie hat im Falle von Wirecard sogar noch amateurhafter und gefährlicher gehandelt. Mit dabei: der (noch) Bundeskanzler und damals Finanzminister Olaf Scholz.

Während im Jahr 2019 schon die ersten Risse im Kartenhaus von Wirecard sichtbar wurden, ermittelte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin; Finanzminister Scholz unterstellt) allerdings nicht gegen Wirecard, sondern ausgerechnet gegen Dan McCrum wegen des Verdachts der Marktmanipulation.

Dass dann auch noch Karl-Theodor zu Guttenberg (vor langer Zeit mal CSU-Hoffnungsträger) im September 2019 bei der Kanzlerin für das Unternehmen warb, das dürfte bei einer Person wie zu Guttenberg zwar nicht sonderlich überraschen, es macht die Sache allerdings nicht besser.

Auch hier gilt: Der Rest ist wohl Geschichte. Und im Fall von Wirecard eine Geschichte, die noch nicht zu Ende erzählt ist. Leidtragend waren jedenfalls Kleinaktionäre und, erneut, der Ruf des Wirtschaftsstandorts Deutschland.

Was haben Politik und Wirtschaft gelernt?

Sie fragen sich vielleicht: warum holt der Sandmann ausgerechnet jetzt diese alten Kamellen raus?

Weil sie zwei Dinge eindrücklich unter Beweis stellen. Erstens, die großen deutschen Unternehmen tragen eine enorme Mitverantwortung für das, was heute Realität ist. Zweitens, die Politik lernt in der Regel nicht (oder nur selten) aus ihren Fehlern.

Vor allem der zweite Punkt stellt eine Gefahr in einer Zeit wie dieser dar. Denn die neue Bundesregierung wird unter Druck stehen, eine schnelle Wirtschaftswende herbeizuführen.

Die Lage ist insofern vergleichbar mit der Lage, in der sich Gerhard Schröder in der Zeit nach der Jahrtausendwende befand. Die Agenda 2010 zeigte noch keine Wirkung und es wurde dereguliert, was das Zeug hält. Das Ergebnis war bekannt.

Wenn es also um die Zukunftsfähigkeit Deutschlands geht und die Frage, wie wir unsere Wirtschaft wieder auf Vordermann bringen, dann empfehle ich: Ja, hört den Unternehmen zu. Nehmt sie aber vor allem auch in die Pflicht!

Philipp Sandmann

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