
Liebe Leserinnen und Leser,
der amerikanische Vizepräsident JD Vance sagte vor ein paar Wochen auf der Münchner Sicherheitskonferenz diesen Satz:
“Wenn Sie Angst vor den Stimmen und den Meinungen haben, die Ihr eigenes Volk leiten, wenn Sie Angst vor Ihren eigenen Wählern haben, dann kann Amerika nichts für Sie tun, und Sie können auch nichts für das amerikanische Volk tun.”
JD Vance hatte die Bundesregierung Deutschlands und die Regierungen anderer europäischer Länder dafür attackiert, dass sie - in den Augen von Vance und Trump - die Meinungsfreiheit einschränkten und nur die Stimmen von ganz bestimmten Akteuren zulassen würden.
Ich lasse das alles mal ganz wertfrei so stehen.
Denn der Punkt, den ich machen will ist eher dieser hier: Wenn sich ein US-Vizepräsident vor einem europäischen Publikum hinstellt und die Europäer beim Thema Meinungsfreiheit belehrt, dann würde man sicherlich zu dem Schluss kommen, dass die USA in diesem Kontext ja ein gutes Vorbild sein müssen.
Das Problem: Dieses Land ist so unfrei, wie lange nicht mehr. Ich bin 34 Jahre alt und noch nie in meinem Leben habe ich mich so unfrei gefühlt, wie in den vergangenen 55 Tagen. Ich habe in Deutschland gelebt, in Großbritannien und jetzt in den USA. Was hier in den vergangenen Monaten passiert ist, das stellt alles in den Schatten.
Um zu verstehen, wie gravierend der Angriff von Trump auf die Freiheit ist (ich sage bewusst Freiheit und nicht nur Meinungsfreiheit), hilft vielleicht eine Bündelung der vergangenen 55 Tagen.
Eine Auswahl:
“Patriotische Erziehung” per Dekret
20. Januar: Trump unterzeichnet eine Präsidialanordnung (Executive Order) mit dem Titel: “Restoring Freedom of Speech and Ending Federal Censorship” In der Anordnung steht u.a.: “Der Generalstaatsanwalt soll in Absprache mit den Leitern der Exekutivabteilungen und -behörden die Aktivitäten der Regierung in den letzten vier Jahren untersuchen, die mit den Zielen und der Politik dieses Erlasses unvereinbar sind.”
20. Januar: Trump unterzeichnet das Dekret “Ending the Weaponization of the Federal Government” Auch hier soll untersucht und ein Bericht erstellt werden, wer sich in den vergangenen vier Jahren - in den Augen der Trump-Regierung - falsch verhalten habe.
20. Januar: Per Präsidialanordnung begnadigt Trump die Personen, die am 6. Januar 2021 das US-Kapitol gestürmt hatten.
29. Januar: Trump unterzeichnet die Anordnung “Ending Radical Indoctrination in K-12 Schooling” Darin findet man u.a. diese Formulierungen: Amerikanische Eltern würden darauf vertrauen, dass Amerikas Schulen ihren Kindern “eine patriotische Bewunderung für unsere unglaubliche Nation” anerziehen würden. Die Anordnung werde deswegen dafür sorgen, dass ab sofort eine “patriotische Ausbildung/Erziehung” an Amerikas Schulen angeboten werden muss.
11. Februar: Die Professoren Steven Levitsky (Harvard) und Lucan A. Way (University of Toronto) schreiben einen Beitrag für das renommierte Foreign Affairs Magazin. In dem Artikel heißt es: “Die Demokratie in den USA wird während der zweiten Trump-Regierung wahrscheinlich zusammenbrechen, da sie die Standardkriterien für eine liberale Demokratie nicht mehr erfüllen wird: volles Wahlrecht für Erwachsene, freie und faire Wahlen und umfassender Schutz der bürgerlichen Freiheitsrechte.”
14. Februar: Trump hatte den “Golf von Mexiko” in den “Golf von Amerika” umbenannt. Die Nachrichtenagentur Associated Press (AP) weigerte sich, ab sofort “Golf von Amerika” zu sagen oder zu schreiben. Trump verbannte die Journalisten von AP deswegen “dauerhaft” aus dem Oval Office und der Air Force One.
15. Februar: Donald Trump schreibt auf dem Portal “X”: “Wer sein Land rettet, der verstößt nicht gegen das Gesetz.”
16. Februar: Die Schauspielerin Julianne Moore macht öffentlich, dass ihr Kinderbuch “Freckleface Strawberry” vorübergehend (und womöglich dauerhaft) in bestimmten amerikanischen Schulen verboten werden soll, die vom US-Verteidigungsministerium geleitet werden. In dem Buch geht es um ein Mädchen mit Sommersprossen.
Zu den weiteren Büchern, die Teil der “Überprüfung der Einhaltung der Vorschriften” sind, gehört No Truth Without Ruth von Kathleen Krull - ein Buch über Ruth Bader Ginsburg, die zweite Frau am Obersten Gerichtshof der USA.18. Februar: Ein deutscher Staatsbürger wird bei der Einreise von Mexiko in die USA verhaftet und in Abschiebehaft gesteckt. Der Grund: Der deutsche Staatsbürger, der über eine gültige Einreiseerlaubnis (“ESTA”) verfügte, sagte versehentlich, dass er in Las Vegas lebe. Der Mann hatte falsch verstanden, dass die Grenzbeamten ihn danach fragten, wo er hin wolle. Mittlerweile ist der Mann wieder in Deutschland. Ein ähnliches Schicksal hatte eine Deutsche ereilt, die ebenfalls für mehrere Wochen in einem amerikanischen Abschiebe-Gefängnis landete.
4. März: Donald Trump schreibt auf dem Portal “Truth”: “Finanzierungen für Hochschulen, Schulen oder Universitäten, die illegale Proteste zulassen, werden gestoppt. Unruhestifter werden inhaftiert und/oder dauerhaft in das Land zurückgeschickt, aus dem sie gekommen sind.
Amerikanische Studenten werden dauerhaft aus der Uni geworfen oder, je nach Straftat, verhaftet.”
5. März: Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, dass US-Richter immer öfter bedroht werden nachdem Elon Musk sie öffentlich als “korrupt”, “radikal” oder “bösartig” bezeichnet hatte, weil sie gewisse Präsidialanordnungen von Trump blockieren. Rechtsexperten warnen davor, dass Angriffe auf Richter die Unabhängigkeit der Justiz gefährdeten.
6. März: Außenminister Marco Rubio plant ein von KI gestütztes “Catch and Revoke”-Programm, um die Visa von Ausländern zu annullieren, die die Hamas oder andere Terrorgruppen zu unterstützen scheinen. Vollkommen unklar ist, was für die US-Regierung als “pro Hamas” gilt und was nicht.
6. März: Donald Trump geht per Präsidialanordnung gegen eine Anwaltskanzlei vor, die im Jahr 2016 daran beteiligt war, Informationen über Donald Trumps Aktivitäten in Russland zu sammeln. Über u.a. diese Recherchen wurde aufgedeckt, dass Russland sich in die US-Wahl eingemischt hatte und erhebliche Ressourcen in eine Disinformationskampagne gesteckt hatte, um Trumps damalige Widersacherin Hillary Clinton zu schwächen.
Der sogenannte “Mueller Report” kam im März 2019 u.a. zu diesen Ergebnissen: “Die russische Einmischung in die Wahl 2016 war ‘umfassend und systemisch.’” Außerdem: “Trump-Mitarbeiter haben die Ermittler wiederholt über ihre Kontakte zu den Russen belogen, und Präsident Trump weigerte sich, Fragen über seine Bemühungen zu beantworten, Bundesverfahren zu behindern und die Aussagen von Zeugen zu beeinflussen.”7. März: Die New York Times veröffentlicht eine Liste auf der die Wörter stehen, die Trump in Zukunft aus offiziellen Regierungs-Dokumenten entfernen will. Einige der Wörter, die verboten oder “vermieden” werden sollen, sind: Aktivist, Schwarz, Klimakrise, Diskriminierung, Weiblich, Ungleichheit, Ungerechtigkeit, Minderheiten, Unterdrückung, Frauen und Unterrepräsentierte.
8. März: Die Einwanderungsbehörde ICE verhaftet den palästinensischen Aktivisten Mahmoud Khalil. Er hatte eine prominente Rolle bei den Protesten gegen Israel an der Columbia University gespielt hat. Khalil, der eine Green Card besitzt, sitzt seitdem in Haft.
Die American Immigration Lawyers Association schreibt über den Fall: “Auch wenn die endgültige Entscheidung in seinem Fall vor Gericht fallen wird, gibt es zwingende Anzeichen dafür, dass die Regierung seine [Mahmoud Khalil] Rechte auf ein ordnungsgemäßes Verfahren verletzt hat und dass das Gesetz selbst verfassungswidrig ist. Ein rechtmäßiger ständiger Einwohner hat das Recht, dauerhaft in den Vereinigten Staaten zu leben und die Rechte und den Schutz der Verfassung zu genießen. Die Regierung hat keine Beweise oder Behauptungen dafür vorgelegt, dass er abschiebbar ist, und umgeht ihre Beweislast, indem sie diese obskuren und verfassungsrechtlich bedenklichen ‘außenpolitischen’ Gründe anführt.”
Das US-Magazin The Atlantic schreibt: “Jemanden ausfindig zu machen, dessen Politik einem nicht gefällt, und ihn unter einem fadenscheinigen Vorwand in Handschellen zu legen, ist das, was Diktatoren tun.”13. März: Die Trump-Regierung schickt einen Brief an den Interimspräsidenten der Columbia University, der eine Liste von Forderungen enthält, die die Universität erfüllen muss, wenn sie möchte, dass die Streichung von 400 Millionen Dollar an Fördergeldern rückgängig gemacht wird. Die Forderungen u.a.: Demonstranten, die im vergangenen Jahr an pro-palästinensischen Protesten teilgenommen haben, sollen von der Schule verwiesen oder für mehrere Jahre suspendiert werden.
14. März: Eine Liste kursiert mit den Ländern, die Teil des neuen “Travel Ban” von Trump sein sollen. Darunter auch das Land Afghanistan, in dem die USA über 20 Jahre lang aktiv waren und ein großes Chaos hinterlassen hatten.
15. März: Donald Trump hat sich auf ein jahrhundertealtes Kriegsgesetz berufen, um zu argumentieren, dass Banden aus Venezuela in die Vereinigten Staaten “eingedrungen” seien. Er will damit den Weg für die “sofortige Festnahme, Inhaftierung und Abschiebung” aller Personen freimachen, die nach Ansicht der Regierung in diese Kategorie fallen.
15. März: Die Assistenzprofessorin für Medizin Rasha Alawieh wurde am Donnerstag am internationalen Flughafen Boston Logan festgehalten, nachdem sie ihre Familie im Libanon besucht hatte. Ein Familienmitglied erfuhr, dass sie am Freitag abgeschoben werden sollte. Bei ihrer Rückkehr von der Reise war sie im Besitz eines gültigen H-1B-Visums, das sie kürzlich vom amerikanischen Konsulat in Beirut erhalten hatte. Ein H-1B-Visum ermöglicht es Arbeitgebern, ausländische Arbeitnehmer für Positionen einzustellen, die spezielle Kenntnisse erfordern.
Das Ende der Freiheit
Das Problem an dieser Liste: sie ist bei weitem nicht vollständig. Auch auf Ebene der US-Bundesstaaten nimmt der Kampf der Republikaner gegen die Freiheit zu - vor allem wenn es um die Rechte von Frauen geht.
Nach knapp zwei Monaten Trump kann man sagen: Es gibt eine Art perversen Wettbewerb der Freiheits-Beschneidung. Was mir mit Blick auf die kommenden Monate große Sorgen bereitet: Trump hat seine Anhänger dazu angestachelt, seine freiheitsverachtende Politik auch im alltäglichen Leben zu forcieren.
In dem Zitat von Thomas Jefferson ganz oben heißt es: “Institutionen müssen sich weiterentwickeln, um mit der Zeit Schritt zu halten.” Donald Trump tut allerdings gerade alles dafür, um genau diese Institutionen auszuhöhlen oder ganz abzuschaffen. Die Verfassung der USA ist sehr gut. Womöglich zeigt sich aber in den nächsten Jahren, dass sie nicht gut genug war.
Philipp Sandmann
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