Gedanken aus Washington D.C. | Thoughts from Washington D.C.
Gedanken aus Washington D.C.
Das Ende von Gedanken aus Washington D.C. - Good bye, USA.
12
0:00
-16:21

Das Ende von Gedanken aus Washington D.C. - Good bye, USA.

Ein Text über die sich verändernden Vereinigten Staaten von Amerika. Aber auch eine Warnung, ein Abschied und das Ende von Gedanken aus Washington D.C. Es kommt etwas Neues!
12

Liebe Leserinnen und Leser,

Nach einer etwas längeren Pause nun das Finale: Heute erhalten Sie den letzten Newsletter von Gedanken aus Washington D.C. Meine Zeit in Washington D.C. endet und mein Master-Studium an der Georgetown Universität ist abgeschlossen. Es zieht mich nach Europa, wo spannende Entwicklungen stattfinden, die ich mitgestalten will.


Read the English version of this article here:


Ich bedanke mich herzlich bei Ihnen für die vergangenen Monate und dafür, dass Sie meinen Newsletter gelesen und geteilt haben. Ich bedanke mich für die Kommentare und Rückmeldungen und ich möchte Ihnen sagen: Es war mir eine Freude, jede Woche für Sie aus Washington D.C. zu schreiben und zu berichten.

Gedanken aus Washington D.C. startete zur US-Wahl im November 2024. Seitdem haben über 500 Menschen meinen Newsletter abonniert. Ende April gelang dieser kleinen (aber feinen) Publikation der größte Erfolg: Ein Interview mit Bundespräsident a.D. Joachim Gauck sorgte für großen Gesprächsstoff, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern auch in internationalen Medien. Dass mein Newsletter mal in einer gedruckten Zeitung zitiert werden würde, das hätte ich auch nicht gedacht.

Das zeigt: etwas Neues zu starten, das lohnt sich. Ich habe den größten Respekt vor den vielen freien Journalistinnen und Journalisten, die täglich auf der Suche nach guten Geschichten sind und damit ihren Lebensunterhalt finanzieren. Auch wenn mich mein Weg womöglich nicht zurück in den Journalismus führen wird, so werde ich diesem Beruf immer treu bleiben.

Und, es wird einen neuen Newsletter geben. Aus Deutschland. Dazu bald mehr.

Ich würde mich freuen, wenn Sie mir als Leserinnen und Leser treu bleiben. Sie werden natürlich auch die Möglichkeit bekommen, sich abzumelden. Für meine zahlenden Abonnenten eine wichtige Information: Ihre Zahlungen werden für die nächsten Wochen pausiert (ich mache eine kleine Pause).

Aber nun, mein letzter Text aus Washington D.C.

Er handelt um ein Land mit der womöglich berühmtesten Idee des sozialen Aufstiegs. Es geht aber auch um ein Land, das es in dieser Form so nicht mehr gibt. Die Idee von Amerika wird zwar bleiben. Künftige Generationen, die Menschen die ich während meines Studiums kennenlernen durfte, werden dieser Idee allerdings wieder neues Leben einhauchen müssen. Und vielleicht bleibt doch auch etwas von dem Grundgedanken: Die USA sind ein Land der Einwanderer und ein Land der (unbegrenzten) Möglichkeiten.

Gedanken aus Washington D.C. | Thoughts from Washington D.C. is a reader-supported publication. To receive new posts and support my work, consider becoming a free or paid subscriber.


Amerika ist einfach großartig!

Als ich das erste Mal in die USA reiste, da war ich 14 Jahre alt. Im Anflug auf New York sah ich das Lichtermeer und die nach Reißbrettmuster organisierten Avenues und Streets.

Ich zitterte. Weil ich mich freute. Es war aufregend. Anflug. Auf Amerika.

Abgeholt wurde ich am Flughafen John F. Kennedy (JFK) von einer guten Freundin meiner Großmutter. Uschi. Uschi war im Osten von Deutschland geboren. Sie lernte einen Amerikaner kennen. Die beiden heirateten. Uschi zog in die USA. Heute spricht sie deutsch wie eine Amerikanerin und Englisch, wie eine Deutsche.

Uschi und Jack leben in Princeton. Auch heute noch. Damals war es Februar. Superbowl-Final-Zeit. Es gab am Abend Chili. Ihr Auto war ein Ford Crown Victoria. Er roch nach Vanille und fuhr sich wie ein Schiff. Der Motor brummte leise, aber kraftvoll.

Das Haus betrat man - natürlich - über die Garage. Garagen sind in den USA oft ein Raum, der in Deutschland als Gästezimmer durchgehen würde. Sie sind organisiert und sauber, teilweise sogar mit Teppich. Darin fand ich einen großen Kühlschrank und fein säuberlich organisierte CocaCola-Dosen. Ich war begeistert. Ich war in Amerika.

Share


Auch mein zweiter Besuch in den USA war magisch. Es war Juli 2007. Ich war 17 Jahre alt und durfte zwei Wochen als Teil eines “global young leaders program” Washington D.C. und New York besuchen. Es war eine der spannendsten politischen Zeiten überhaupt.

In Deutschland hatte zu diesem Zeitpunkt fast noch niemand von Barack Obama gehört. In den USA allerdings schon. Auch wenn ihm damals noch nicht viele Menschen zutrauten, Präsident zu werden, so war irgendwie klar, dass das Land nach den bleiernen Busch-Jahren eine große Veränderung wollte und für diese auch wählen würde. Nur ein Jahr später sollte Obama der Kandidat der Demokraten für die Präsidentschaftswahlen werden. Die US-Wahl von 2008 gewann er dann gegen John McCain. Ein historischer Moment.


Das Gefühl von damals, der Anflug auf Amerika, ist im Grunde genommen nie weggegangen. Auch 20 Jahre später nicht.

Es war für mich ein absoluter Luxus und ein großes Privileg, dass ich so lässig über den Atlantik fliegen konnte, als wäre es eine ICE-Fahrt von München nach Hamburg. Eine Strecke, für die Menschen früher Wochen auf einem Schiff verbrachten. Eine Strecke, die für viele Menschen auch heute noch ein Traum bleibt.

Ich durfte in den vergangenen Jahren oft nach Amerika einreisen. Es war für mich immer, jedes einzelne Mal, etwas ganz Besonderes. Nach dem langen Sommer 2024 in Deutschland habe ich mir gedacht: Ich fliege bald Nachhause. Nach Amerika.


Man kann die USA anhand vieler verschiedener Dinge beschreiben und ich würde es nicht wagen, zu behaupten, dass ich dieses Land mit seinen ganzen Unterschieden und Nuancen kenne. Doch ich habe einige Teile dieses Landes gesehen und eine Sache ist doch in fast jedem Bundesstaat gleich: Die Klimaanlage. Oder “A/C” wie man dort sagen würde. Amerikaner haben es gerne kalt in Innenräumen.

Die amerikanische Klimaanlage, sie läuft. Nein, sie röhrt.

So, wie die Wirtschaft. Sie arbeitet Tag und Nacht. Eine Klimaanlage in den USA ist erst dann richtig gut, wenn es draußen kalt ist, aber drinnen noch kälter. Für Europäer ist das alles ziemlich eigenartig. Oder wie man heutzutage sagen würde: “The European mind cannot fathom…”

Ich habe das auch nie ganz verstanden (und oft gefroren), aber ich habe gelernt, dass die A/C zum Land dazu gehört, wie Thanksgiving.

Die USA - ein fragiler Staat?

Doch aus der physischen Kälte, mit der man leben kann, ist in den vergangenen Jahren zunehmend auch eine politische und gesellschaftliche Kälte geworden. Der Vergleich scheint bemüht, gar pathetisch, aber er trifft doch irgendwie zu.

In den vergangenen Wochen habe ich mich im Zuge meines Studiums intensiv mit dem Thema gesellschaftlicher Verträge beschäftigt. So ein gesellschaftlicher Vertrag ist faszinierend. Er unterscheidet sich von der Verfassung eines Landes und ist in keinem offiziellen Dokument zu finden. Trotzdem ist ein gesellschaftlicher Vertrag das Gerüst, das ein Land zusammenhält.

In den USA ist (war) dieser Vertrag das Versprechen des sozialen Aufstiegs. Der American Dream. Vom Tellerwäscher zum Millionär. Er hat viele Jahrzehnte sehr gut funktioniert.

Doch schon vor ein paar Jahren hat sich etwas verändert in den USA, das viel größer ist, als Donald Trump. Auf der einen Seite droht dieser gesellschaftliche Vertrag zu zerbrechen, weil das obengenannte Versprechen nicht mehr gilt und der soziale Aufstieg für immer mehr Amerikanerinnen und Amerikaner nicht zu schaffen ist. Auf der anderen Seite sind die USA über die vergangenen Jahre ein zunehmend “fragilerer” Staat geworden. Die Bezeichnung “fragil” ist übrigens nicht willkürlich gewählt.

Was heißt das?

Wenn wir über “fragile Staaten” sprechen, dann denken wir zunächst an Länder wie den Sudan, Syrien oder Afghanistan. Und ja, diese Staaten gehören tatsächlich zu den zerbrechlichsten der Welt. Einige kann man sogar als “failed states” bezeichnen, also als Staaten, die nicht mehr in der Lage sind, auch nur ein Minimum an Verantwortung für die Sicherheit ihrer Bürgerinnen und Bürger zu übernehmen.

Es gibt diverse Bezeichnungen und Kategorien für Länder, die als fragil eingestuft werden. Die Weltbank hat z.B. zwei:

  • Länder mit einem hohen Maß an institutioneller und sozialer Fragilität, ermittelt anhand von Indikatoren, die die Qualität von Politik und Institutionen sowie die Erscheinungsformen von Fragilität messen.

  • Länder, die von gewaltsamen Konflikten betroffen sind, ermittelt anhand eines Schwellenwerts für die Zahl der konfliktbedingten Todesopfer im Verhältnis zur Bevölkerung.

Während z.B. im Kosovo kein Krieg herrscht, so findet man das Land trotzdem auf der Liste der fragilen Staaten, weil die Weltbank zu dem Schluss kommt, dass es dort institutionelle und soziale Fragilität gibt.

Neben der Weltbank gibt es auch noch andere Organisationen, die sich mit dem Thema beschäftigen. So wird z.B. vom “Fund for Peace” jedes Jahr ein “Fragile States Index” veröffentlicht, auf dem fast alle Länder dieser Welt nach “fragility” eingestuft werden. Im Jahr 2024 war Somalia auf Platz 1 (am fragilsten) und Norwegen auf Platz 179 (am wenigsten fragil).

Aber warum über diese fragilen Staaten schreiben, wenn es doch um die USA gehen soll?

Weil in den USA ein interessanter (und ernster) Trend zu beobachten ist.

Vor 18 Jahren, also im Jahr 2007 (kurz vor der Finanzkrise), lagen die USA auf Platz 159 auf dem Index und waren umgeben von Ländern wie Italien oder Frankreich. Die USA galten - zu diesem Zeitpunkt - als weniger fragil als Deutschland, das wiederum höher auf der Liste (also fragiler) angesiedelt war (auf Platz 153).

Im Jahr 2024 lagen die USA wiederum auf Platz 141. Ein Unterschied von genau 18 Plätzen. Im Schnitt büßten die USA somit seit 2007 jedes Jahr einen Platz ein und bewegten sich in Richtung zunehmender Fragilität. Im Jahr 2024 galten Argentinien, Chile und Qatar als weniger fragil, als die Vereinigten Staaten von Amerika.

Nun muss man dazu sagen, dass solche Listen kein besonders guter Zukunftsindikator sind. Mit anderen Worten: Manche Länder (wie z.B. die Ukraine) können zu einem bestimmten Zeitpunkt als nicht sonderlich fragil gegolten haben, jedoch brach dann trotzdem ein Krieg aus, der alles veränderte.

Ähnlich war es vor dem Arabischen Frühling in Syrien: Die Analysen vor 2011 kamen nicht unbedingt zu dem Schluss, dass Syrien kurz vor einem Bürgerkrieg stand, der das Land für die nächsten Jahrzehnte beschäftigen würde. Heute ist das Land zerstört und es wird viele Jahre dauern, bis Syrien wieder aufgebaut ist und dann stabil bleiben kann.

Aber schauen wir genauer auf die USA und die Frage, warum das Land zerbrechlicher wird.

Ein Indiz findet sich im Fragile States Index von 2023. Hier wird erklärt, dass sich die Cohesion Indicators (Indikatoren für gesellschaftlichen Zusammenhalt) in den meisten demokratischen Ländern zwischen 2007 und 2020 stark verschlechtert haben.

Innerhalb dieser Gruppe demokratischer Nationen haben die USA mit Abstand die schlechtesten Werte. Das Interessante an der Sache: Die Zahlen lassen sich nur zum Teil auf politische Faktoren zurückführen. Was die USA zunehmend zu einem fragilen Staat werden lässt: Massenschießereien und Amokläufe (z.B. in Schulen).

In dem Report heißt es:

Im historischen Vergleich sind die Belastungen nach wie vor extrem hoch, und die Vereinigten Staaten sind innerhalb dieser Gruppe bei weitem am schlimmsten betroffen.

Inmitten der anhaltenden politischen Polarisierung, des Stillstands und der Unentschlossenheit verzeichneten die Vereinigten Staaten laut einer Untersuchung von “Mother Jones” im Jahr 2022 die höchste Anzahl von Massenschießereien, die jemals in einem einzigen Jahr verzeichnet wurden, und zwar in Schulen, an Arbeitsplätzen, in Werkstätten und in Wohnvierteln.

Dies macht das Land anfällig für einen möglichen Schock. Denn selbst wenn das Land nicht fragil ist, hat sich der Zusammenhalt über ein Jahrzehnt hinweg stetig verschlechtert. Wenn dann ein Schock wie eine globale Pandemie eintritt, verfügt das Land möglicherweise nicht über das nötige soziale Kapital, um die kollektive Reaktion zur Bewältigung der Krise zu mobilisieren und zu verhindern, dass sie sich auf die sozialen, wirtschaftlichen, politischen und sicherheitspolitischen Indikatoren auswirkt.

Im Grunde genommen ist es so: Die USA verlieren an Stabilität, weil der Staat nicht in der Lage ist, Massenschießereien zu verhindern. Der Staat kommt seiner absolut grundsätzlichsten Aufgabe also nicht nach: Dem Schutz seiner eigenen Bürgerinnen und Bürger.

Die Zukunft

Ich verlasse die USA nicht mit bösem Blut.

Ganz im Gegenteil.

Ich habe ein Land kennengelernt, das womöglich vor seinen größten Weichenstellungen seit dem Ende des zweiten Weltkriegs steht. Doch nach ein paar Monaten Trump ist klar: Der US-Präsident wird viele Dinge nicht einhalten können, die er versprochen hat. Das Vorhaben, den Krieg Russlands gegen die Ukraine in einem Tag zu beenden, das ist nicht nur grandios gescheitert, Trump hat sich vom russischen Präsidenten Putin regelrecht vorführen lassen. Außenpolitisch ein ziemlicher Fehlstart.

Hinzu kommt, dass Trump durch seine arrogante Missachtung der Verfassung und der Gesetze seinem Land einen enormen Schaden hinzufügen wird. Ich habe darüber ausführlich in diversen Artikeln geschrieben.

Doch natürlich hat Trump auch Ansätze, die Sinn ergeben.

Schaut man auf seine Handels- und Wirtschaftspolitik, dann wird klar, dass Trump verstanden hat, dass die US-Amerikaner schlichtweg zu viel konsumieren. Vereinfacht formuliert: Durch den exzessiven Konsum entsteht auch das massive Handelsdefizit, weil viele der (billigen) Produkte importiert werden müssen.

Da rutschte Trump unlängst raus, dass ein Kind in den USA nicht 30 Puppen brauche, sondern auch zwei reichen würden. So etwas hätte er im Wahlkampf nie sagen können. Es wird aber in Zukunft in Amerika tatsächlich darum gehen, die Schulden (staatliche und private) zu verringern. Das ist eine große Aufgabe.

Meine letzte Prognose in diesem Newsletter: US-Amerikaner werden sich zunehmend fragen (müssen), für wen sie eigentlich arbeiten, für was sie kämpfen und was ihnen wichtig ist.

In Amerika verdient man im Schnitt mehr Geld, als in Deutschland. Das stimmt. Allerdings gibt es auch keinen sozialen doppelten Boden. Damit will ich sagen: Fällt mal ein Monatsgehalt weg oder ist jemand für länger als eine Woche krank, dann springt der Staat eben nicht ein. Das heißt: der gesellschaftliche Vertrag beinhaltet in den USA keinen Sozialstaat. Das ist vollkommen in Ordnung.

Es bedeutet aber auch: Wenn das Versprechen des Aufstiegs nicht mehr gilt und es den Sozialstaat nie gab, was genau bedeutet das dann für die Identität der USA? Welche Rolle kann und soll der Staat dann in Zukunft übernehmen? Was erwarten die Menschen von denen, die Macht ausüben?

Die Liberal International Order, die die USA nach dem Ende des zweiten Weltkriegs maßgeblich mitbestimmt haben, sie steht vor einer monumentalen Veränderung und womöglich sogar vor ihrem Ende. Wir alle sollten allerdings ein Interesse daran haben, dass es den USA in Zukunft gut geht und das Land erfolgreich bleibt.

Was die USA für uns nach dem Schrecken des Kriegs in Europa getan haben, das hat unsere Geschichte geprägt und uns ein Leben in Wohlstand ermöglicht. Vielleicht ist es nun an der Zeit, dass wir auch mal was für die USA tun.

Auf Wiedersehen, Amerika.

Philipp Sandmann

Discussion about this episode

User's avatar