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Melnyk an Merz: "Das ist jetzt die Stunde Deutschlands"
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Melnyk an Merz: "Das ist jetzt die Stunde Deutschlands"

Der ehemaliger Botschafter der Ukraine in Deutschland, Andrij Melnyk, spricht im Interview über die enorme Bedeutung des Treffens im Petersdom und erklärt, warum er trotzdem skeptisch bleibt.
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Liebe Leserinnen und Leser,

es ist ein Foto, das in die Geschichte eingehen wird. So viel steht jetzt schon fest.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und der amerikanische Präsident Donald Trump sitzen sich, am Rande der Trauerfeier für den verstorbenen Papst, im Petersdom gegenüber und sprechen über eine mögliche Waffenruhe zwischen Russland und der Ukraine.

Grund genug, um darüber mit jemandem zu sprechen, der sich nicht nur gut mit der Ukraine auskennt, sondern auch mit der Diplomatie. Andrij Melnyk war viele Jahre Botschafter der Ukraine in Deutschland. Nun ist er für sein Land als Botschafter in Brasilien und schon bald wird er die Ukraine bei den Vereinten Nationen in New York vertreten.

Das ganze Interview gibt es im Podcast oder hier als Text in verkürzter Fassung.

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“Es war für uns überlebenswichtig, dass Präsident Selenskyj einen Weg findet, das Vertrauen zurückzugewinnen”

Philipp Sandmann: Guten Tag, Herr Melnyk. Schön, dass Sie sich die Zeit genommen haben. Vielen Dank dafür. Wo erreiche ich Sie gerade?

Andrij Melnyk: Guten Abend, Herr Sandmann. Ich bin gerade in Brasilia, immer noch als Botschafter. Demnächst werde ich umziehen nach New York, um diese neue Mission zu beginnen. Darauf freue ich mich.

Es wird gerade über ein eindrückliches Bild gesprochen und diskutiert. Ihr Präsident Wolodymyr Selenskyj sitzt gegenüber von Donald Trump, dem US-Präsidenten. Die beiden sitzen auf zwei provisorisch herbeigeschobenen Stühlen im Petersdom, am Rande der Trauerfeier für den verstorbenen Papst. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie so ein Foto sehen?

Andrij Melnyk: Zum einen bin ich froh, dass Präsident Selenskyj überhaupt nach Rom gereist ist. Das war nicht sicher wegen der schwierigen Lage an der Front und der täglichen Angriffe auf Städte und die vielen Opfer, die wir zu beklagen hatten in den letzten zwei, drei Wochen.

Und da dachte ich mir: Es wäre so wichtig, dass der Präsident jetzt dabei ist bei dieser Trauerfeier, die eine große Bedeutung hat, weil dort auch der amerikanische Präsident anwesend sein sollte. Ich war so erleichtert, als ich diese Bilder dann im Petersdom gesehen habe. Das Treffen war ja, soweit ich weiß, nicht wirklich geplant. Das war eine spontane Begegnung, die natürlich gesucht wurde. Ich weiß, wie diese Chemie funktioniert, dass man keine Vereinbarung hat und trotzdem alles dafür tun muss, um so eine Begegnung zu ermöglichen.

Das hatte für mich eine starke Symbolkraft, weil wir gesehen haben, wie schwierig das war, einen Dialog zu führen und auch einen direkten Draht zum neuen Chef im Weißen Haus zu finden. Wir haben immer noch diese schrecklichen Bilder im Kopf im Oval Office von vor ein paar Wochen.

Es war für uns überlebenswichtig, dass Präsident Selenskyj einen Weg findet, wie man Donald Trump gewinnen kann und wie man auch das Vertrauen zurückgewinnen kann. Ich habe den Eindruck – ich war nicht dabei, aber ich hatte Feedback von den Kollegen, die dort waren – dass das ein guter Anfang war. Das war der zweite Anfang und auch, wenn es nur 15 Minuten gewesen sind, so hatte man den Eindruck, dass das schon ein gelungener zweiter Anfang war. Die Menschen in der Ukraine konnten ein bisschen aufatmen.

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Ja, das ist in der Tat sehr eindrücklich, was Sie da schildern. Trotzdem die Frage, Herr Melnyk, was ist für die Ukraine weiterhin eine rote Linie bei einem Friedensabkommen mit Russland? Wo würde die Ukraine auf keinen Fall unterschreiben? Und glauben Sie, dass es in den nächsten Tagen zu einem Deal, zu einer Art Waffenstillstand kommen kann oder sind Sie da noch vorsichtig?

Andrij Melnyk: Ich bin da eher skeptisch. Ich glaube, wir sind nur am Anfang eines Weges, und zwar eines sehr langen Weges. Das ist keine Kleinigkeit. Das ist der größte Krieg in Europa seit 1945 und er dauert schon über drei Jahre an. Putin glaubt weiterhin, er könne mehr erreichen und noch mehr besetzen. Diese Dynamik ist es, die es jetzt aus unserer Sicht zu ändern gilt.

Aber im Moment ist es noch zu früh. Aus unserer Sicht ist es wichtig, dass wir jetzt diesen Gegenentwurf haben mit den Europäern. Dieser Vorschlag liegt jetzt auch auf dem Tisch der USA.

Das heißt, da muss man jetzt einen kühlen Kopf behalten und versuchen, auch die Amerikaner und Donald Trump persönlich zu überzeugen, dass das nicht den Interessen der Amerikaner entsprechen würde, wenn ein Deal zustande kommt, der einseitig ist, der ungerecht ist. Ein Diktatfrieden hat in der Geschichte noch nie lange gehalten.

Glauben Sie noch an einen EU-Beitritt der Ukraine und glauben Sie an einen NATO-Beitritt Ihres Landes?

Andrij Melnyk: Was den EU-Beitritt betrifft, da bin ich sehr optimistisch. Was die NATO betrifft, das ist natürlich eine viel schwierigere Geschichte, weil dort immer noch keine Einigkeit besteht im Vergleich zum Thema EU-Beitritt.

Aber haben Sie beim Thema NATO einen ähnlichen Optimismus?

Andrij Melnyk: Beim Thema NATO, da haben wir noch nicht diese Einigkeit. Wir haben einerseits viele politische Beschlüsse, z.B. Bukarest 2008, wo in dieser Abschlusserklärung des NATO-Gipfels steht: die Ukraine wird NATO-Mitglied sein. Das wurde dann immer wieder bekräftigt. Aber wir verstehen auch, dass das Thema NATO zu einer Art Geisel der aktuellen Gespräche geworden ist.

“Wir müssen den Krieg stoppen. Wir müssen das Morden stoppen. Wir müssen raus aus dieser katastrophalen Situation.”

Und das ist jetzt auch die große Kunst der Diplomatie, dafür zu sorgen, dass dieses Thema nicht den Weg behindert, um einen nachhaltigen Frieden zu erreichen, weil das für uns die erste Priorität ist. Wir müssen den Krieg stoppen. Wir müssen das Morden stoppen. Wir müssen raus aus dieser katastrophalen Situation.

Aber gleichzeitig halte ich es für überlebenswichtig, dass wir das nicht einfach aufgeben. Nicht nur, weil das in der Verfassung steht und weil das für die Menschen in der Ukraine von symbolischer Bedeutung ist, sondern weil eine NATO-Mitgliedschaft die Garantie wäre, um einen neuen Krieg zu verhindern. Denn ohne Garantien wird es keinen stabilen Frieden geben. Da sind sich alle sicher. Es wird keine Sicherheit geben, dass Putin nicht wieder angreift. Deswegen wäre es fatal, wenn man einfach sagt: die NATO-Mitgliedschaft können wir über Bord werfen.

Ich würde gerne noch über die Rolle Deutschlands sprechen in diesem Kontext. Friedrich Merz war nicht anwesend in Rom. Ich finde, das muss man nicht überbewerten. Trotzdem bringt es uns zu einer wichtigen Frage: Hat Deutschland, hat die bald neue Bundesregierung die Zeichen der Zeit erkannt, vor allem mit Blick auf die Unterstützung der Ukraine, aber auch die Bedrohung von Russland? Oder wünschen Sie sich da noch eine deutlichere Linie? Und: was ist ihrer Meinung nach die größte Gefahr für Deutschland in der unmittelbaren Zukunft?

Andrij Melnyk: Wenn ich Friedrich Merz wäre, dann würde ich das gerade auch als eine Chance begreifen. Eine historische Chance. Denn man hat jetzt quasi diese Lücke und man hat diese Unsicherheit in allen Bereichen: militärische Unterstützung, NATO-Zukunft, Wirtschaft, Welthandel… Ich kenne Merz ein bisschen und ich traue ihm diese Aufgabe zu.

Fatal wäre es hingegen, wenn Deutschland sich versteckt. Diese Gefahr ist groß aus meiner Sicht, weil die Versuchung groß ist, dass man nicht auffallen will. Jetzt gibt es diese Chance, sich außenpolitisch zu profilieren und Deutschland nach vorne zu bringen.

Aber den Widerstand, z.B. aus den SPD-Reihen, den spüre ich schon jetzt. Das heißt, all diese Geschichten, die werden auf Merz zukommen. Und dann müsste er eigentlich sagen: jetzt müssen wir einen anderen Weg gehen und wir müssen dieses Zeitfenster nutzen. Dann sitzt Deutschland als Vertreter der EU am Tisch, vielleicht in einem Quartett mit anderen Akteuren, wie mit Großbritannien, Frankreich, den Osteuropäern. Aber dafür müsste man diese Trümpfe auch in der Hand haben.

Ist das auch gleichzeitig die größte Gefahr, wenn das eben nicht passiert?

Andrij Melnyk: Ja, die größte Gefahr ist, wenn man diese Chance verpasst und man dann weiterhin nur als Beobachter dasteht. Das ist aber nicht - glaube ich - die Ambition, die Deutschland und vor allem der neue Kanzler hat.

Da geht es nicht nur um diese Friedensgespräche, es geht insgesamt um die Zukunft der Verteidigungspolitik in Europa. Da kann man nur etwas erreichen, wenn man auch eigene Ideen präsentiert. Das würde ich mir wünschen. Eine aktive, proaktive, offensive Außenpolitik von Anfang an. Ohne diesen außenpolitischen Schritt, ohne diesen Wurf ist dann alles schnell vorbei und dann bleibt man bei dem, was man hat und dann spielt man nur eine zweite oder dritte Geige.

Ein gutes Schlusswort. Vielen Dank, Herr Melnyk, dass Sie sich die Zeit genommen haben und danke für das Gespräch.

Andrij Melnyk: Ich habe zu danken und ich hoffe, dass wir in Kontakt bleiben, um diese Allianz, die man zwischen Deutschland und der Ukraine jetzt hat, aufrechtzuerhalten. Wir haben etwas erreicht, worauf wir stolz sind und was wir schätzen.

Ich weiß noch, wie das war, als es eine Gleichgültigkeit gab in Bezug auf die Ukraine und insgesamt auf die Außenpolitik und Osteuropa. Das war unbedeutend, das spielte gar keine Rolle, man hat gelacht. Heute sind wir meilenweit entfernt von dieser Ignoranz und von dieser Selbstverblendung und das ist etwas, was ich aus meiner Sicht sehr zu schätzen weiß.

Deutschland hat alle Voraussetzungen, um zu punkten. Das ist meine Hoffnung und das wünsche ich Friedrich Merz und seiner neuen Regierung von Herzen. Auch allen SPD-Ministern, obwohl wir nicht immer Freunde waren, aber das ist jetzt die Stunde Deutschlands und das ist keine Pathetik.


Die Stunde Deutschlands. Ein interessanter Gedanke zum Schluss. Und ja, vielleicht finden wir irgendwo diesen Mut, den es braucht. Ich glaube allerdings, dass einigen Menschen immer noch nicht so ganz klar ist, dass die Ukraine gerade genau das verteidigt, was wir Deutsche und wir Europäer jeden Tag genießen. Die Freiheit. Aber das ist ein Thema für ein anderes Gespräch.

An meine Leserinnen und Leser und meine Zuhörerinnen und Zuhörer, danke fürs Dranbleiben und Ihnen einen schönen Tag Sonntag.

Philipp Sandmann

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