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Ist das Fliegen noch sicher?
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Ist das Fliegen noch sicher?

Eine Recherche zum Thema Flugsicherheit mit exklusiven Stimmen aus der Luft und vom Boden - und einer interessanten Einschätzung zu (jungem) Nachwuchs und Personal.
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“Come fly with me, let's fly, let's fly away…”

Liebe Leserinnen und Leser,

eigentlich hatte ich ja versprochen, dass der erste Newsletter von sandmann exklusiv am vergangenen Sonntag verschickt wird. Die Verzögerung bitte ich zu entschuldigen.


Die Fliegerei ist faszinierend. Auch heute noch.

Und die Zahlen beim weltweiten Flugverkehr sind explodiert. 2019, dem letzten Jahr vor Corona, gab es 4,4 Milliarden Flugpassagiere - ein Rekord. Dann kam zunächst der Einbruch aufgrund der Pandemie, doch im Jahr 2025 kommt die Flugbranche schon fast wieder an die Zahlen von 2019 heran. Dieser Trend hat auch seine Schattenseiten.


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Gerade in den vergangenen Monaten und Jahren hat sich die Anzahl der Flugzeugabstürze und Unglücke doch merklich erhöht. Das ist nicht nur meine subjektive Wahrnehmung, sondern das spiegelt sich auch in den Fakten wider. So war 2024 z.B. das tödlichste Jahr in der Fliegerei seit 2018. Das Jahr 2025 zeigt in den ersten sechs Monaten ebenfalls eine verheerende Bilanz auf. Der Nachrichtendienst Bloomberg schreibt:

“Laut Jan-Arwed Richter, dem Gründer von Jacdec, einem deutschen Beratungsunternehmen, das sich mit der Sicherheit in der Luftfahrt befasst, ist die Zahl der Todesopfer in der Zivilluftfahrt im Jahr 2025 weltweit auf mehr als 460 gestiegen. Der Durchschnitt der letzten zehn Jahre liegt bei 284, basierend auf der Methodik des Unternehmens.”

Besonders schockierend waren ein Absturz im Januar, als ein Passagier-Jet in Washington D.C. kurz vor der Landung mit einem Hubschrauber kollidierte und der Absturz der Air-India-Maschine (Boeing 787) im Juni kurz nach dem Start.

Es gibt also zwei Fragen, die ich in diesem Artikel beantworten will. Erstens, ist das Fliegen eigentlich noch sicher? Und zweitens, lässt sich die erhöhte Zahl der Abstürze erklären, also z.B. aufgrund von gesunkenen Sicherheitsstandards oder aufgrund von Personalmangel?

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Flug-Legende: Der letzte Pilot von Air Berlin

Bevor ich zu den obengenannten ernsten Fragen und möglichen Antworten komme, möchte ich einen meiner Gesprächspartner gebührend vorstellen, da wir uns schon ein paar Jahre kennen.

David McCaleb war der letzte Pilot der Fluggesellschaft Air Berlin, die Ende 2017 den Betrieb einstellte. Ich war damals als Reporter für die BILD-Zeitung auf dem letzten Flug von München nach Berlin (AB 6210) mit dabei.

Flugkapitän David McCaleb im Oktober 2017 (Foto: Michael Hübner)

27 Jahre war McCaleb für Air Berlin tätig. Er war der erste US-Amerikaner mit einer deutschen Fluglizenz.

Der letzte Flug von Air Berlin

Heute ist der erfahrene Pilot in Rente und genießt sein Leben auch außerhalb des Cockpits. In einem Telefon-Interview sagte er mir: “Ich vermisse die Fliegerei nicht so sehr, aber ich vermisse meine Kollegen und ich vermisse meine Zeit bei Air Berlin.”

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“Die Flugsicherheit ist ein bisschen verletzt!”

Von McCaleb will ich also wissen: Ist das Fliegen heute noch sicher oder hat sich etwas verändert? Der ehemalige Pilot sagt tatsächlich: “Die Flugsicherheit ist ein bisschen verletzt.” Aber: “Wir müssen uns auch daran erinnern, wie viele Millionen Meilen jedes Jahr geflogen werden und da gibt es doch eigentlich eine ganz gute Bilanz. Vor allem ist viel verbessert worden. Ich denke, dass die Fliegerei immer noch die beste Wahl fürs Reisen ist.”

Fliegen ist also im Grunde genommen sicher, sagt McCaleb. Was allerdings interessant ist, das sind die folgenden Einschätzungen, die nicht nur der Pilot als großes Problem hervorhebt, sondern auch ein Experte für das Bodenpersonal (Technik, Wartung). McCaleb erklärt, dass sich der Druck auf das Cockpit, auf die Kabine, auf die Infrastruktur und auf das Bodenpersonal in den vergangenen zehn bis 15 Jahren enorm erhöht habe:

“Da ist vor allem der wirtschaftliche Druck, auch mit Blick auf die Flugsicherung. Das kann bedeuten, dass im Turm ein oder zwei Menschen weniger sitzen und somit nicht für die beste Sicherheit gesorgt ist. Das ist zum Beispiel der Fall in den USA. Hinzu kommt, dass einige Fluggesellschaften wollen, dass die Flieger nur so kurz wie möglich am Boden bleiben. Die wollen die Flugzeuge in der Luft haben. Da gibt es also auch Kürzungen beim Thema Navigation, Sicherheit, Wetter, Planung. Das alles hat mit dem wirtschaftlichen Druck zu tun.”

McCaleb warnt: “Wenn man aber nur auf Kapitalismus und das Geld schaut und nicht auf die menschlichen Faktoren, dann kommt es einfach zu Engpässen.”

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“Dieses Niveau von 2019, das war für das System krank!”

Ähnlich sieht es Daniel Wollenberg, Technik- und Wartungsexperte und ehemals Vorsitzender der Technik Gewerkschaft Luftfahrt. Im Interview erklärt der Gewerkschafter: “Der Druck und die Erwartungen, gerade was die Personalknappheit angeht, der ist schon groß. Da sollten wir uns nichts vormachen. Das ist ein weltweites Phänomen.”

Auch Wollenberg bezieht sich auf das Jahr 2019 und betont: “Dieses Niveau von 2019, das war für das System krank. Deswegen sollten wir uns mal ehrlich machen und fragen: Mit unseren derzeitigen Ressourcen und Bedingungen, wie viel vertragen wir eigentlich an Flugpassagieren? Was ist überhaupt machbar?”

Eine der der größten Herausforderungen für die Zukunft sieht der Gewerkschafter beim beim Thema Personal und der Frage, wie man neue Mitarbeiter bekommt, die wiederum das richtige Verständnis für diesen Job haben:

“Die jungen Leute, die haben oft eine ganz andere Auffassung von Arbeit.  Gerade in der Wartung muss man auch mal länger arbeiten und kann das nicht einfach an die nächste Schicht übergeben. Auch in der Nacht und am Wochenende zu arbeiten, das gehört dazu. Da genug junges Personal zu bekommen, das dieses Bewusstsein hat, das wird schwierig.”

Zum Beispiel sei der amerikanische Markt “komplett leergefegt” mit Blick auf das Personal. Wollenberg erwartet, dass es dort in den kommenden Jahren eher noch schlimmer werde. Auch in Deutschland schiebe man eine “Welle” an älteren Kollegen vor sich her, die bald in Rente gehe.

“Einige Airlines fliegen auf Teufel komm raus!”

Die entscheidende Frage stelle ich natürlich auch an Experte Wollenberg: Ist das Fliegen noch sicher? Er sagt: “Ich würde sagen: Fliegen in Deutschland und in Europa, das ist immer noch sicher.”

Vor allem habe man in der Wartung in Deutschland gewisse Spielräume und Beanstandungen könnten auch mal zurückgestellt werden. Das bedeute im Umkehrschluss allerdings auch, dass es für das Flugzeug dann Einschränkungen geben könne. Diese Zusammenhänge müsse man sehr genau kennen: “Wenn wir dann auch mal sagen: hier ist Stopp, dann wird das akzeptiert, denn einen Vorfall will hier keiner riskieren. Die Sicherheit des Flugbetriebes steht dann an erster Stelle.”

Mit Blick auf die deutsche Airline Lufthansa sagt Wollenberg:

“Lufthansa ist ja nun ein solider Konzern und in der Regel gibt es immer eine Reservemaschine, die aktiviert werden kann, oder es kann im Netzwerk anderweitig umgeplant bzw. umgebucht werden.”

Das sei bei einigen anderen Fluggesellschaften nicht immer der Fall: “Einige andere Airlines fliegen auf Teufel komm raus, da ist keine Ersatzmaschine. Und wenn so ein Flieger am Boden bleiben muss, dann entstehen horrende Kosten. Das versucht man dann schon so ein bisschen wegzudrücken, bzw. mehr die Limits auszunutzen.”

Fliegen ist also sicher, ja. Aber es gibt große Unterschiede zwischen den verschiedenen Fluggesellschaften und je nachdem, wo genau man gerade auf der Welt unterwegs ist und welche Sicherheitsstandards dort gelten. Klar ist jedenfalls: Das System ist in den vergangenen Jahren enorm unter Druck geraten. Wenn der Flugverkehr in Deutschland und Europa auch sicher bleiben soll, dann muss umgedacht werden. Und zwar schnell.

Philipp Sandmann

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