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Fall Brosius-Gersdorf: Um was es hier wirklich geht
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Fall Brosius-Gersdorf: Um was es hier wirklich geht

Wer sind die wirklichen Aktivisten in der aufgeheizten Debatte über die Verfassungsgericht-Kandidatin? Eine Recherche wirft die Frage der Einflussnahme auf - vor allem seitens einer Person.
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Liebe Leserinnen und Leser,

dass es in der heutigen Zeit zu heftigen Debatten im öffentlichen Diskurs kommt, die mitunter deutlich unter die Gürtellinie gehen, daran dürfen wir uns nicht gewöhnen, aber wir müssen damit umgehen.

Dennoch überrascht mich das Ausmaß der Diskussion über Frauke Brosius-Gersdorf, Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht. Wie es der Journalist Paul Ronzheimer trefflich formulierte:

“Hochinteressant und beunruhigend zugleich die Reaktionen auf den Auftritt von Brosius-Gersdorf bei Lanz zu beobachten hier. Jeder/jede nimmt sich das raus bzw. clippt, was zur eigenen Linie/Argumentation passt. Diese ‘Clippisierung’ führt zu den aufgeregten Debatten dieser Zeit.”

Ich stimme zu, dass diese Clippisierung problematisch ist. Allerdings ist sie in der Tat ein fester Bestandteil der Welt, in der wir heute leben. An ihr wird sich wenig ändern lassen, und schon gar nicht in den sozialen Medien.

Deswegen sollten wir uns fragen, ob wir wirklich über den Kern des Problems sprechen.

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe (Guido Radig, Wikipedia)

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Ich will es so erklären: Ich finde nicht, dass Frau Brosius-Gersdorf radikale Thesen vertritt. Trotzdem akzeptiere ich, dass sich einige in der Union (und darüber hinaus) an ihr reiben. Das ist vollkommen legitim.

Die Frage, die ich allerdings an diejenigen habe, die die Kandidatin verhindern wollten und das auch weiterhin beabsichtigen, ist diese hier: Haben Sie Ihre Haltung entwickelt bevor oder nachdem die ersten Nachrichten-Portale kritisch (und teilweise auf Basis von Falschinformationen) über die Kandidatin berichteten?

Das ist eine wichtige Frage, die jeder für sich beantworten muss. Denn hier geht es um Haltung. Hier unterscheidet sich, um die Floskel zu bemühen, die Fahne im Wind vom Fels in der Brandung.


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“Falsch informiert”

Man könnte auch einen Schritt weitergehen und fragen: Wie viele Personen haben sich von falschen Informationen bzw. einer verzerrten Berichterstattung leiten lassen? Fest steht jedenfalls, dass der Bamberger Erzbischof Herwig Gössl eine ziemlich kritische Predigt über Frauke Brosius-Gersdorf hielt, ihr vorwarf, dass sie angeblich “das Lebensrecht ungeborener Menschen bestreitet” und von einem “Abgrund der Intoleranz und Menschenverachtung” sprach.

Doch dann kam die Kehrtwende (und zum Glück die Einsicht): In den vergangenen Tagen hatte das Bistum klargestellt, dass der Erzbischof diesbezüglich “falsch informiert” gewesen sei, was er “nachdrücklich” bedauere.

Der Schaden bleibt und es ist doch ingesamt ein ziemlich unglaublicher Vorgang. Wie konnte das also passieren?

Dazu sollten wir uns die Person Prof. Ekkehart Reimer genauer anschauen. Reimer ist ein renommierter Rechtswissenschaftler, der an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg lehrt und von 2018 bis 2020 Dekan der Heidelberger Juristischen Fakultät war. Außerdem ist Reimer Vorsitzender im Vorstand des Cusanuswerk. Die Bischöfliche Studienförderung Cusanuswerk ist das Begabtenförderungswerk der katholischen Kirche in Deutschland.

Wie das Nachrichtenportal t-online vor einigen Tagen recherchierte, war es Reimer, der den Wikipedia-Eintrag von Brosius-Gersdorf am 25. Juni – also noch Tage vor der anfänglichen Berichterstattung der FAZ – entscheidend veränderte bzw. ergänzte.

Wie Jonas Mueller-Töwe von t-online berichtet, fügte Reimer einen kompletten Absatz über Brosius-Gersdorf hinzu, in dem es um ihre (vermeintliche) Haltung zum Thema Abtreibung ging. Abgesehen davon, dass Reimer zunächst groben Unfug (“…in den ersten 12 Monaten der Schwangerschaft…”) in den Artikel schrieb (und wenig später korrigierte), schrieb Reimer auch stark zugespitzt und mit einer klaren Agenda seinerseits.

Interessant ist vor allem, dass es ist nicht das erste Mal ist, dass der Name Reimer im Kontext einer Wahl eines Richters für das Bundesverfassungsgericht fällt.

So gibt es eine Verbindung zwischen Reimer und dem aktuellen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth, der seit 2018 eine Honorarprofessur an der Universität Heidelberg hält, wo wiederum Reimer lehrt.

Zwischen 2018 und 2020 hatte es eine Diskussion um Harbarth gegeben, in der ihm vorgeworfen wurde, er könne befangen sein und somit nicht geeignet für das Amt eines Verfassungsrichters. Das Portal Legal Tribune Online erklärte 2018:

“In den Wochen vor seiner Wahl wurde Harbarth vor allem zweierlei vorgeworfen. Er sei als stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU ein profilierter Parteipolitiker. Als Verfassungsrichter müsste er dann regelmäßig über die von ihm selbst beschlossenen Gesetze entscheiden. Außerdem sei Harbarth Partner der Rechtsanwaltskanzlei SZA Schilling Zutt & Anschütz, die auch VW im Diesel-Skandal vertrete. Hieraus könnten sich ebenfalls Interessenskonflikte ergeben.”

Auch kam damals die Frage auf, wie genau Harbarth 2018, kurz vor seiner Wahl zum Verfassungsrichter, von der Universität Heidelberg zum Honorarprofessor ernannt wurde. Also mit anderen Worten: Wurde Harbarth der Weg nach Karlsruhe ganz bewusst geebnet und war die Honorarprofessur da Teil einer Strategie?

Ein großer Verteidiger von Harbarth damals war jedenfalls - genau - Professor Ekkehart Reimer, der die Honorarprofessur von Harbarth als “völlig unheikel” bezeichnete. Zudem sei Harbarth ein “totaler Spitzenjurist, wissenschaftlich exzellent und didaktisch sehr gut.”

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“Die Einflussnahme ist hier eindeutig!”

Gesprochen habe ich über das Thema mit genau dem Mann, der damals hellhörig wurde, als es um die Kandidatur von Stephan Harbarth ging. Der Kölner Anwalt Claus Schmitz wollte vor einigen Jahren nämlich aufklären, wie Harbarth zu seiner Honorarprofessur kam.

Ziemlich überrascht war Schmitz dementsprechend, als ich mit ihm am Telefon sprach, und er just in dem Moment über eine Pushnachricht die Geschichte des von Reimer veränderten Wikipedia-Artikels erfuhr.

“Es gibt in beiden Fällen den Anschein einer Einflussnahme. Sei es im Fall von Harbarth und wie man zu dem Titel (Honorarprofessur) kommt, der die ganze Sache ‘runder’ macht. Oder jetzt im Fall Brosius-Gersdorf, wo die große Debatte erst auf Basis einer falschen Eintragung bei Wikipedia losging”, sagt Schmitz.

Zudem könne man sich fragen, so Schmitz, warum Herr Reimer ausgerechnet den Weg über Wikipedia gewählt habe. Gab es womöglich die Überlegung, dass solche Einträge in der Regel von Menschen gelesen werden, die sich erstmalig über eine Person informieren wollen und somit ein erstes frisches Bild über die Person bekommen?

Schmitz: “Ich finde den Vorgang jedenfalls höchst bedenklich. Die Einflussnahme ist hier eindeutig!” Danach seien wiederum alle auf das Thema aufgesprungen und das Beispiel des Bischofs in diesem Zusammenhang sei “eklatant”, sagt der Anwalt.

Zudem stört sich Schmitz an der Aussage von Reimer, der sagte, dass dieser Brosius-Gersdorf als “Aktivistin” wahrnehme. Dazu sagt der Kölner Anwalt: “Bei der Äußerung von Herrn Reimer, er sehe Frau Brosius-Gersdorf als Aktivistin, da frage ich mich: Ist nicht Herr Reimer der Aktivist in dieser Geschichte?”

Von Schmitz will ich außerdem wissen, warum die Debatte so heftig geführt werde bzw. warum es den Anschein mache, als müsse insbesondere Frau Brosius-Gersdorf als Richterin verhindert werden. Sogar Bundeskanzler Friedrich Merz hatte sich am Freitag besorgt über die Diskussion der vergangenen Wochen gezeigt: “Auch was Frau Brosius-Gersdorf in den letzten Wochen erlebt hat ist völlig inakzeptabel. Die Kritik, die da teilweise geäußert worden ist, ist unsachlich gewesen, polemisch gewesen, zum Teil persönlich beleidigend und herabsetzend.”

Anwalt Schmitz meint: “In meinen Augen geht es um die Verhinderung von Frau Brosius-Gersdorf als Nachfolgerin der Vorsitzenden des Zweiten Senats, der Vizepräsidentin und dann Nachfolgerin des Präsidenten des Verfassungsgerichts, also von Herrn Harbarth. Hier geht es also um die Frage: Will man eine Person wie Frau Brosius-Gersdorf als Präsidentin des Verfassungsgerichts haben? Und, wer hat wiederum ein Interesse daran, sie zu verhindern bzw. wer kann so etwas beeinflussen?”

Schmitz betont in dem Zusammenhang, dass es offenbar ein “Interesse” gebe, Frau Brosius-Gersdorf mit jedem “noch so abwegigen oder hergeleiteten Argument” zu verhindern.

Eine Frage des Charakters

Wie geht es weiter und was lernen wir aus diesem Fall?

Zum einen geht es sicherlich um die Frage, wie und ob Politikerinnen und Politiker damit umgehen, wenn es zu hartem Gegenwind kommt. Zu oft habe ich den Eindruck – und das gilt für das gesamte politische Spektrum – dass sich Politikerinnen und Politiker stark von der Aufgeregtheit der Debatte leiten lassen.

Wenn sie dann umfallen, dann ist das in meinen Augen kein Anzeichen von Stärke (weil man die “Meinung” des Wählers respektiert), sondern vielmehr ein Zeichen großer Schwäche und mangelnder Standhaftigkeit.

Der klügste Kommentar in dem Dickicht an Meinung der vergangenen Wochen kommt hierzu von Dr. Felix W. Zimmermann, dem Chefredakteur von Legal Tribune Online. Er schreibt:

“Ein Rückzug von der Kandidatur wäre auch aus einem anderen Grund fatal. Eine Richterkandidatin wurde verhindert, nicht durch Argumente, sondern durch eine lautstarke Kampagne, die ihre tatsächlichen Ansichten verzerrt; konkret etwa die falsche Unterstellung, sie würde dafür eintreten, eine Abtreibung bis zur Geburt stets für straflos zu erklären. Ein Erfolg von rechten Medien und ‘Lebensschützern’ mit Aussicht auf weitere Erfolge. Eine Kandidatin zuerst zu diskreditieren und sodann nahezulegen, es wäre doch besser, wenn diese aus übergeordneten Gründen auf eine Kandidatur verzichten möge, ist perfide und dürfte Schule machen.”

So ist es.

Der Kern der Debatte ist doch nicht, dass man sachlich über eine Kandidatin oder einen Kandidaten diskutiert (und die Person dann ablehnt oder annimmt), sondern der Kern der Debatte ist, dass sich Einige (Viele) offensichtlich von Falschinformationen haben leiten lassen und auf Basis dieser zugespitzten oder komplett fehlerhaften Quellen Entscheidungen getroffen haben.

Der Kern der Debatte ist auch, dass es hier um gezielte Einflussnahme geht und wir somit eine Demontage einer der wichtigsten Säulen unserer Demokratie erleben!

Um es klar zu sagen: Das wird nicht die letzte Debatte dieser Art sein. Politikerinnen und Politiker müssen sich zunehmend fragen, auf Basis welcher Strömungen sie ihre Haltungen formen oder verändern. Zu einem guten und starken Charakter gehört jedenfalls, dass man sich selbst prüft, ob man gerade eine Haltung entwickelt, weil sie opportun ist oder ob man wirklich wahrhaftig agiert.

Übrigens verdankt unser Grundgesetz vor allem der Juristin Elisabeth Selbert den schlichten Satz: “Männer und Frauen sind gleichberechtigt”. Ein Satz, dessen Aufnahme von den Männern im Parlamentarischen Rat und im Verfassungskonvent 1948 zwei Mal abgelehnt wurde, denn es würden dadurch, wie die CDU bemerkte “fast alle Bestimmungen über Ehe- und Familienrecht über den Haufen geworfen und außer Kraft gesetzt.”

Aber Elisabeth Selbert und ihre drei Mitstreiterinnen erreichten ihr Ziel, und zwar parteiübergreifend, denn sie gehörten der SPD, der CDU und dem Zentrum an. Danach hat es allerdings, wie Jutta Limbach (die erste und bislang einzige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts) 2006 formulierte noch ein halbes Jahrhundert gedauert “um das deutsche Recht egalitär zu formulieren”.

Philipp Sandmann

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