Deutschlands Zeiten-Ende
Die Sicherheitskonferenz zeigt: Es ist sind nicht die besten Tage, um ein Verbündeter der USA zu sein. Wir sollten uns allerdings auch nicht alles gefallen lassen.
Liebe Leserinnen und Leser,
der Graben zwischen Washington D.C. und Berlin, er dürfte in den vergangenen Tagen ein ganzes Stück breiter und tiefer geworden sein.
Read the English version of this article here:
Den Anfang machte US-Präsident Donald Trump am 12. Februar mit einem Vorgang, der einigermaßen unglaublich war. Trump telefonierte zuerst mit Wladimir Putin über Russlands Krieg gegen die Ukraine und erst danach mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Die Rangfolge war somit klar: Die Ukraine und die Europäische Union waren aufs Abstellgleis befördert worden.
Danach sagte Trump, er habe mit Putin über viele Themen gesprochen und auch über die “Großartigkeit” beider Nationen. In einer Art Pressekonferenz sagte der US-Präsident (Video), dass Russland “hart” für die Landgewinne in der Ukraine gekämpft habe und dabei auch “viele Soldaten” verloren habe.
Trump spricht mit den Feinden der freien Welt so, als seien sie alte Freunde. Seinen Verbündeten macht er wiederum Ansagen (Strafzölle, Kanada zum 51. Bundesstaat der USA machen), als seien sie Feinde. Außerdem sieht sich der US-Präsident zunehmend als “above the law” und mit einem Mandat ausgestattet, das jeden richterlichen Beschluss übergehen kann. Das war immer die Befürchtung, nun ist es Realität. So richtig überrascht sollte niemand sein.
“Bedrohung aus dem Inneren”
Der US-Vizepräsident JD Vance setzte dann am Freitag auf der Münchner Sicherheitskonferenz noch einen drauf. CDU-Chef Friedrich Merz hatte zuvor schon gewarnt: “Die Zeitenwende, die der Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung am 27. Februar 2022 beschrieben hat, die kommt an diesem Wochenende.”
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Recht hatte Merz, wobei auch der Unions-Kanzlerkandidat möglicherweise gehofft hatte, mehr zu Sicherheits- und Außenpolitik vom US-Vize zu hören. Am Ende war es eine Schelte für Deutschland und die Europäische Union, die angeblich die Meinungsfreiheit unterdrückten und Angst vor ihren eigenen Wählerinnen und Wählern hätten.
Der vielleicht der entscheidende Satz von Vance: “Worüber ich mir mit Blick auf Europa die größten Sorgen mache: Das ist nicht China, das ist nicht Russland, oder irgendein anderer Akteur. Worüber ich mir Sorgen mache, das ist die Bedrohung aus dem Inneren.” Heißt übersetzt: Europäische Regierungen, wie die in Deutschland, seien gefährlicher als die Bedrohung, die von China oder Russland ausgehe.
Vielleicht zur Erinnerung: All das kommt von einem Mann, der bis heute nicht bereit ist, das demokratische Ergebnis der US-Präsidentschaftswahl von 2020 anzuerkennen, in der Joe Biden Donald Trump geschlagen hatte.
Aber natürlich sollten wir uns nicht nur auf Vance einschießen. Das wäre zu einfach. Die “Chief International Anchorwoman” beim Sender Al-Arabiya English, Hadley Gamble, die die Rede von Vance in München mitverfolgt und auch die Reaktionen der Teilnehmer auf der Konferenz mitbekommen hatte, schickte mir diese Nachricht:
“Die Europäer waren entsetzt. Sie hörten harte Wahrheiten und zwar in einer Sprache, die nicht von diplomatischen Nettigkeiten geprägt war.”
Und in der Tat bleibt ja Folgendes richtig: Deutschland und die Europäische Union sind nur deswegen in diesen Tagen so angefasst, weil sie es sträflich vernachlässigt haben, sich auf diesen Tag vorzubereiten. Hinzu kommt, dass uns das alles in einem Moment erwischt, in dem wir wirtschaftlich und außenpolitisch so schwach da stehen, wie lange nicht.
Vor einem Jahr habe ich zu diesem Thema einen Kommentar für n-tv.de geschrieben. Ich sende den Kommentar in voller Länge hier nochmal. Nicht, weil ich ihn so toll fand, sondern zum einen deswegen, weil ich dem Kommentar - auch drei Jahre nach Beginn des Ukraine-Kriegs - nichts hinzuzufügen habe. Und zum anderen, weil meine Grund-These zur traurigen Realität geworden ist. Ich hatte gehofft, dass ich falsch liege.
Der Kommentar vom 25. Februar 2024:
Deutschland muss die echte Zeitenwende fürchten
Deutschland hofft und hofft und hofft. Auf US-Präsidenten, die Europa beschützen. Bis jetzt ging diese Strategie auf. Doch zwei Jahre nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine müssen wir endlich verstehen: Das reicht nicht mehr.
Die Schockwellen nach Donald Trumps Äußerungen über die NATO erreichten Berlin schneller als Washington. Ein ehemaliger - und womöglich künftiger - US-Präsident, der offen amerikanische Verbündete in die Pfanne haut und Russland noch dazu “ermutigt” gegen NATO-Staaten vorzugehen, die nicht genug für ihre eigene Verteidigung bezahlen, das war schon ein neues Level.
Aber eigentlich auch nichts Neues, dieser Trump-Wahnsinn. Die Wahrheit ist doch: Russland musste erst die Ukraine angreifen, damit Deutschland vor zwei Jahren aus seinem Tiefschlaf geweckt wurde und endlich mit seiner ignoranten Haltungen gegenüber der eigenen Bundeswehr brach. Der Zeitenwende-Bundeskanzler Olaf Scholz war als Finanzminister in der letzten Merkel-Groko einer der ganz großen Widersacher gegen das Zwei-Prozent-Ziel. Scholz ließ damals, 2019, sogar eine (für heutige Verhältnisse sehr vorsichtige) Formulierung aus der Halbzeitbilanz der großen Koalition streichen, in der stehen sollte, dass sich Deutschland verpflichtet fühle, die Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent des BIP zu erhöhen.
Genau dieser Bundeskanzler sitzt vor ein paar Wochen im Weißen Haus in Washington D.C. und muss zugeben: “Ohne die Unterstützung der USA wird es für die Ukraine unmöglich, ihr Land zu verteidigen.”
Deutsches Wunschdenken
In den Fehlern der Vergangenheit liegt ein Schlüssel, um die heutige Situation zu verstehen. Die SPD, aber auch viele Politikerinnen und Politiker anderer Parteien, schätzten die Lage jahrelang gänzlich falsch ein. Ex-Bundespräsident Joachim Gauck sagte vor einem Jahr mit Blick auf das Verhältnis zu Russland:
“Es gibt in Deutschland ein Wunschdenken, das weit über die Sozialdemokratie hinausgeht: Wenn wir den Gegner nur freundlich genug anschauen, dann reagiert der auch in entsprechender Weise. Man hat diese Andersartigkeit des Gegenübers nicht erkannt. Man wollte auch nicht Feindschaft wahrnehmen, wo schon Feindschaft existierte.”
Und deutsche Bundesregierungen ignorierten die offensichtlichen Warnsignale: ob Putins Annexion der Krim im Jahr 2014 oder Trumps Wahlsieg im Jahr 2016 und das damals vorläufige Ende der harmonischen transatlantischen Beziehungen. Dass Donald Trump die NATO als “obsolet” einstuft, das ist spätestens seit 2017 klar. Doch was tat man, um sich für die Zukunft zu wappnen? Man hoffte auf Joe Biden. Vier Jahre lang.
Nun hofft man wieder… auf Joe Biden. Doch dieses Mal ist die Welt eine andere und die Republikanische Partei in den USA entwickelt sich zunehmend zu einer seelenlosen Ansammlung von Trump-Fanatikern.
Sicherheit Europas nicht mehr gewährleistet
Mittlerweile erreicht Deutschland das Zwei-Prozent-Ziel, wenn auch mit ein paar Tricks. Doch der SPD-Politiker Michael Roth, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestags, sagte:
“Eine zweite Amtszeit von Donald Trump käme einer erneuten Zeitenwende gleich, weil die Sicherheit Europas vom ersten Tag seiner Amtszeit nicht mehr gewährleistet wäre. Putin wird das als Einladung verstehen, die Grenzen unserer Partner an der NATO-Ostflanke auszutesten.”
Die Sicherheit Europas wäre nicht mehr gewährleistet, wenn die Amerikaner sich für einen anderen US-Präsidenten entschieden? Es wäre eine Zeitenwende, die Deutschland fürchten müsste. Roths Einschätzung dürfte stimmen, aber sie ist auch verdammt traurig.
Denn das Problem ist: Deutschland springt weiterhin nur so hoch, wie es muss. Dabei müssten wir uns jetzt trauen, ganz neu über unsere Verteidigung und die Verteidigung Europas nachzudenken. Dazu würde dann aber auch gehören, dass sich die SPD klar - und zwar als ganze Partei - zu dieser Verteidigung bekennt.
Wir dürfen jedenfalls nicht weiterhin nur auf Biden hoffen. Wir müssen endlich höher springen. Das schulden wir der Ukraine, vor allem aber uns. Und letztlich schulden wir das auch den Amerikanern, die sich jahrzehntelang um den Schutz der Bundesrepublik gekümmert haben. Der ehemalige US-Außenminister Dean Acheson schrieb 1963 in einem Essay für “Foreign Affairs”, dass die NATO keinen wirklichen Plan für die Verteidigung Europas habe. 60 Jahre später fragt man sich: Haben wir diesen Plan eigentlich heute?
(Ende Kommentar)
Ein letzter Punkt: Wer immer noch nicht verstanden hat, dass ein erfolgreicher Weg für Deutschland nur im Einklang mit einer starken Europäischen Union funktionieren kann, dem wünsche ich alles Gute auf seinem einsamen Weg in die Zukunft.
In vielen Belangen werden wir unseren Weg weiterhin zusammen mit den USA bestreiten. Aber wir müssen schon auch unser eigenes Selbstvertrauen entwickeln. Und womöglich sind wir nach diesem denkwürdigen Wochenende an dem Punkt angekommen, an dem wir über eine europäische Armee nachdenken sollten.
Die vergangene Woche hat zugleich das Ende und den Anfang der (echten) deutschen Zeitenwende eingeläutet.
Aus Deutschlands Zeitenwende wird ein Zeiten-Ende.
Deswegen sage ich: Auf geht’s Europa!
Philipp Sandmann
Die "Angst vor ihren WälerInnen" ist eine wunderbare Projektion.... Wenn man sich mit dem Trump Phenomen auseinandersetzt, wird man schnell merken, dass seine Strategie die der Influencers ähnelt. Und da muss ich das Wort Profilicity erwähnen, was Prof. H.G. Moeller beschreibt als "genuine pretending" (You and Your Profile: Identity After Authenticity, Hans-Georg Moeller) ... So gesehen, muss er (und die anderen, die sich seiner Gefolgschaft angeschlossen haben) ein gewisses Profil kultivieren, weil die Maga-Basis will das Profil sehen, hören, erfahren. Das erklärt zB seinen stupiden Vorschlag Desinfektionsmittel gegen Coronavirus zu sich zu nehmen. Er muss dieses Profil des ungehobelten Dummkopf pflegen. Das sah man deutlich auch mit den Anhörungen fvon RFK Jr und Tulsi Gabbard....
Somit entsteht eine Art von gegenseitiger parasitärer Beziehung. Er nährt sein Profil von deren Bedürfnis nach diesem Profil.