Wie Naturkatastrophen unsere Wirtschaft zerstören
Die Brände in L.A. zeigen: Die Menschheit hangelt sich von Krise zu Krise. Das hat schwerwiegende Konsequenzen für Demokratie und Wohlstand. Eine Analyse und ein Interview mit Clara Pfeffer.
Liebe Leserinnen und Leser,
in Los Angeles haben die schlimmsten Flächenbrände seit Langem ganze Wohngebiete und Stadtteile zerstört. Menschen haben ihre Häuser verloren, viele Existenzen sind bedroht.
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Die erweiterte Familie meiner Frau wohnt nur ein paar Kilometer entfernt von den direkt betroffenen Gebieten. Ein Onkel meiner Frau konnte in letzter Minute einem Bekannten aus seinem Haus helfen und ein paar seiner wichtigsten Gegenstände retten. Darunter Erinnerungen, Bilder, Gemälde… Immer mehr dystopische Videos, wie dieses aus Altadena, werden geteilt.
In Los Angeles brennen nicht nur Familienhäuser. Es sind auch Gebäude und Gegenden in Gefahr, die einen wichtigen Teil amerikanischer Kulturgeschichte ausmachen und auch für Deutschland eine kulturelle Relevanz haben. Darunter das Thomas-Mann-Haus und die Villa Aurora in Pacific Palisades.
Der andere Onkel meiner Frau, der in einer Gegend wohnt, die sich aktuell unter evacuation warning befindet, schickte mir gestern noch diese E-Mail:
“Gerüchten zufolge hat die Villa Aurora überlebt, ebenso wie die Pfarrei Saint Matthew’s, eine anglikanische Kirche in Pacific Palisades, die vielleicht das schönste Beispiel moderner kirchlicher Architektur ist, das ich je gesehen habe.
Andererseits sind das alte Ranchhaus und die Scheunen im ‘Will Rogers State Historic Park’ Berichten zufolge vollständig niedergebrannt. Und auch ein jahrhundertealter jüdischer Tempel in der Gegend von Pasadena fiel den Bränden zum Opfer.
Den E-Mails zufolge, die ich von örtlichen Kunstorganisationen erhalten habe, wurden die Wohnsitze zahlreicher in Los Angeles ansässiger klassischer Musiker zerstört, und vermutlich auch einige historische Instrumente.
Ich möchte keine Vermutungen über die langfristigen Auswirkungen der Brände anstellen, aber kurzfristig haben sie das kulturelle Leben in der Stadt völlig zum Erliegen gebracht. Alle Konzerte und Aufführungen, für die ich in dieser und der nächsten Woche Karten hatte, sind abgesagt worden. Orchester können weder proben noch auftreten, weil so viele Musiker plötzlich obdachlos sind und verzweifelt versuchen, einen Freund oder Verwandten zu finden, der bereit ist, sie, ihre Kinder und hoffentlich auch ihre Hunde und Katzen für unbestimmte Zeit unterzubringen. Jedes Hotelzimmer zwischen Santa Monica und Palm Springs ist mit Flüchtlingen aus dem Feuer gefüllt.
Ich gestehe auch, dass ich neugierig bin, was die langfristigen politischen Auswirkungen sein werden. Die Menschen sind sehr verärgert darüber, dass unsere Bürgermeisterin Karen Bass auf Weltreise in Afrika war, als die Brände ausbrachen, obwohl alle Zeitungen und Behörden seit Tagen davor gewarnt hatten, dass katastrophale Brände angesichts der Wettervorhersage so gut wie sicher waren.”
“Mit solchen Katastrophen kann es keinen Wirtschaftsaufschwung geben!”
Es ist schwer, in den Tagen der Katastrophe schon über die nächsten Schritte zu sprechen. Trotzdem sollten wir das tun. Denn dieser Großbrand in Kalifornien wird (hoffentlich) eine verschärfte Debatte über den Klimawandel und seine Folgen auslösen. Die Frage ist nur, ob auch die richtigen Schlüsse gezogen werden.
Ich habe mit meiner ehemaligen Kollegin Clara Pfeffer über dieses Thema gesprochen. Sie ist eine der führenden Klima-Journalistinnen in Deutschland und moderiert für RTL/ntv regelmäßig das Format “Klima Update”.
Diese Fragen habe ich ihr gestellt und diese Antworten hat sie mir gegeben:
Wenn man diese Katastrophe in Los Angeles sieht: Haben wir überhaupt noch eine Chance, um uns vor den Auswirkungen des Klimawandels zu schützen (“mitigation”) oder geht es in Zukunft nur noch um die Klimaanpassung (“adaptation”)?
“Viele Klimawissenschaftler haben Klimaanpassung und Klimaschutz immer so ein bisschen voneinander getrennt. Auch aus Sorge, dass sich die Menschen (und vor allem die Politik) sonst auf der Klimaanpassung ausruhen könnten. Klimaanpassung kann es nur zu bis zu einem gewissen Grad geben - Los Angeles ist dafür das beste Beispiel.
Jeder Grad Erderwärmung macht die Anpassung schwieriger bzw. unmöglich. Natürlich braucht es trotzdem beides. Aber jedes kleine bisschen, was auf die 1,5 Grad Erderwärmung draufkommt, bedeutet eine exponentielle Verschlimmerung. Dann kommen irgendwann diese berühmten Kipppunkte, die leider kollektiv unterschätzt werden. Es macht einfach einen sehr großen Unterschied, ob es 1,5, 1,55 oder 1,6 Grad Erderwärmung sind.
Was man natürlich auch hervorheben muss: Die Gegenden, die noch bewohnbar sein werden für Menschen, die könnten sich bis zum Ende des Jahrhunderts - je nach Erwärmung - um bis zu 30 Prozent reduzieren.”
Gibt es Lehren für Deutschland und seine Anpassung an den Klimawandel und die Vorbereitung auf Katastrophen wie diese?
“Wir hatten so eine Katastrophe ja im Kleinen im Ahrtal. Hier ist das Problem, dass immer mehr Bereiche, die eigentlich ganz klar Überschwemmungs-Risikogebiet sind, von den Kommunen als Bauland ausgewiesen werden. Und dann wird über Themen wie Pflichtversicherungen gesprochen, aber da ist einfach die Frage, wie man so ein System künftig noch finanzieren will.
Ich glaube, dass wir massiv unterschätzen, wie viel teurer das wird mit jedem bisschen Erwärmung. Wir müssen davon ausgehen, dass diese graduelle Erwärmung weitergeht. Man müsste ganze Flussbetten renaturieren und Flächen brachlegen lassen. Wenn wir auch nur einen Zentimeter weiter zubetonieren in Deutschland, dann erhöht das immer das Risiko für alle Menschen in der Umgebung.”
Was bedeuten solche Katastrophen eigentlich für die Politik in den betroffenen Ländern und welche Auswirkungen haben sie langfristig auf die Wirtschaft?
“Katastrophen wie diese schwächen immer die Demokratie. Warum? Weil die Ausgaben massiv steigen und das Vertrauen in die Politik mit jedem Mal sinkt - egal ob man da jetzt eine konkrete Schuldzuweisung machen kann oder nicht.
Jede Katastrophe beschäftigt uns monatelang und es werden Fragen in den Raum geworfen, wer da wie falsch darauf reagiert hat. Die eigentliche Aufgabe eines Staates, Schaden von seiner Bevölkerung abzuwenden, die wird eben nicht mehr erfüllt und das sorgt für großes Misstrauen.
Mit Blick auf die Wirtschaft habe ich eine ganz klare Haltung: Es kann im Grunde genommen keinen langfristigen und sicheren Wirtschaftsaufschwung geben, wenn wir immer wieder und immer öfter solche Katastrophen erleben. Hier werden Milliardenwerte zerstört und das muss in die große Rechnung mit einkalkuliert werden!”
Die Zukunft - mit Trump
Wenn Donald Trump ab dem 20. Januar Präsident ist, dann wird die Krise in Kalifornien auch seine Krise sein. Selbst ein Präsident, der kein Freund von Klimaschutz ist, wird sich mit dem Thema beschäftigen müssen. Wie meine Kollegin Clara Pfeffer zurecht sagt: Katastrophen wie diese werden in Zukunft jeglichen wirtschaftlichen Fortschritt zunichtemachen. Und beim Thema Wirtschaft müsste Donald Trump eigentlich hellhörig werden.
Zum Schluss noch ein Gedanke: Gerade zeigen wir ein erhöhtes Maß an Empathie und Spendenbereitschaft, weil Los Angeles eine Stadt in einem westlichen Land ist. Wir kennen dort Menschen, haben die Stadt schon mal besucht. Doch in Regionen in Asien und Afrika sind solche Katastrophen die neue Normalität. Wenn wir glaubwürdig bleiben wollen im Westen, dann müssen wir uns auch mit den Regionen beschäftigen, die nicht so oft in den Nachrichten vorkommen. Das wäre nämlich nicht nur aus moralischer Sicht gut, sondern auch strategisch ziemlich klug.
Philipp Sandmann