EXKLUSIV: "In wenigen Jahren kommt die nächste Konfrontation"
Der Militär- und Sicherheitsexperten Roderich Kiesewetter (CDU) spricht im Interview über die Trump-Regierung, die "bewusst" die Seiten gewechselt habe. Für Deutschland sieht er drei Szenarien.
Liebe Leserinnen und Leser,
es sind bewegte Zeiten in den USA. Das kaltblütige Vorgehen der Trump-Regierung gegen Freiheit und Meinungsfreiheit paart sich nun mit einer amateurhaften Unprofessionalität, die einen nur ratlos zurücklässt.
Während die Republikaner vor einigen Jahren Hillary Clinton noch ins Gefängnis werfen wollten, weil sie sensible Daten über einen privaten E-Mail-Server verschickt hatte, so fügte Michael Waltz (seines Zeichens Nationaler Sicherheitsberater der Vereinigten Staaten von Amerika) vor einigen Wochen versehentlich einen Reporter des Magazins The Atlantic in eine Gruppe auf dem Messenger-Dienst Signal hinzu.
Wenig später wurden dann in dieser Gruppe, der auch Pete Hegseth (seines Zeichens Verteidigungsminister der Vereinigten Staaten von Amerika) angehörte, geheime Angriffspläne über einen unmittelbar bevorstehenden US-militärischen Angriff auf die Huthi-Rebellen im Jemen geteilt. Guter Stoff für eine Netflix-Doku. Wäre das alles nicht ganz genau so passiert, dann würde man sicher sagen: bisschen übertriebenes Drehbuch. Die ganze Geschichte gibt es beim Atlantic.
Ich habe über u.a. dieses Thema mit Roderich Kiesewetter von der CDU gesprochen. Kiesewetter ist ein ausgewiesener Militär- und Sicherheitsexperte und war Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums. Von 2011 bis 2016 war Kiesewetter Präsident des Verbandes der Reservisten der Deutschen Bundeswehr.
Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Sonntag.
Philipp Sandmann
Philipp Sandmann: Sie haben das Debakel rund um die Messenger-Gruppe von Pete Hegseth mitbekommen. Offenbart das ein ganz gravierendes Problem der US-Regierung mit Blick auf das Thema Cybersicherheit, aber auch mit Blick auf Verantwortungsbewusstsein und Sicherheit im Allgemeinen?
Roderich Kiesewetter: Ich möchte Ihnen da zustimmen. Es fällt auf, dass das Personal, das Trump ausgewählt hat, nicht nach Kompetenzkriterien ausgewählt wurde, sondern strikt nach Loyalität und Spendenbereitschaft. Wenn man beispielsweise auf Witkoff schaut [Nahostbeauftragter von Trump], der nicht mal Provinzen in der Ukraine benennen kann. Oder wenn man auf den Umgang von Pete Hegseth schaut, der als Journalist und früherer Soldat nie eine Leitungsfunktion inne hatte und auch im Umgang mit der Sicherheitsfrage sich nicht an erprobte US-Security-Channels hält, sondern private Messenger-Dienste nutzt und dabei auch noch gegen amerikanisches Gesetz verstößt.
Es zeigt auch ein absolutes Desinteresse an sicherer Kommunikation und eine mangelnde Einbindung von Sicherheitsexperten, die ja solche Strukturen überprüfen müssen. Es ist zudem verbunden mit einer doch sehr spürbaren Ablehnung Europas, einer Verächtlichmachung Europas. Das alles macht deutlich, dass da offensichtlich eine kleine Gruppe – um nicht zu sagen eine Clique – von Menschen Verantwortung übernimmt, die einem 330-Millionen-Volk nicht gerecht wird.
Wie bewerten Sie die Nähe zwischen Trump und Putin? Die kann man ja mittlerweile auf offener Bühne beobachten, da wird nichts mehr versteckt… Warum ist das eigentlich so?
Kiesewetter: Das ist eine Schlüsselfrage. Ich glaube, es gibt da eine Reihe von Ursachen. Das ist eine gewisse Hybris einer Gruppe von Republikanern, die den Mehrwert von Partnerschaft und Kooperation z.B. mit Europa unterschätzen und auf der anderen Seite nur auf die eigene Stärke, aber auch auf die eigene Kraft des Urteils setzen.
Ich hatte im Mai letzten Jahres ein Gespräch mit Elbridge Colby, der heute stellvertretender Verteidigungsminister der USA ist. Er sagte mir: „We don‘t risk our security for the sake or for the security of East Estonia.“ Ich wollte ihm dann deutlich machen, dass das, was den Wert der NATO ausmacht, ist, dass auch kleine Staaten dieselbe Sicherheit genießen, wie die großen. Eine Wertepartnerschaft. Das hat er aber nicht verstanden, sondern entgegnet: unser Hauptgegner ist China.
Diese strategischen Überlegungen spielen in der Gedankenwelt dieser Trump-Regierung keine Rolle. Da geht es um Macht, Einfluss und schlichtes Dealmaking. Verhandeln geht aber nur, wenn auf der anderen Seite auch ein Kaufmann sitzt, der gerne dealt und nicht strategisch denkt. Auf der anderen Seite sitzt allerdings kein Verhandler, sondern Putin. Also jemand, der sehr strategisch denkt, jetzt schon den x-ten US-Präsidenten in seiner langen Amtszeit erlebt und auch diesen überleben wird. Das bedeutet, dass die US-Administration aus eigener Hybris, aus mangelnder Beratung und aus bewusster Absicht heraus die Seiten gewechselt hat.
“Damit hat Trump automatisch die Narrative von Putin übernommen, verteidigt sie auch und verbreitet sie.”
Nach außen wird wiederum kommuniziert: Wir sind nicht mehr Partner der Ukraine, sondern wir sind Vermittler. Aber das, was sie als Vermittler leisten, das sind Vorleistungen für Russland. Also das Abtreten von Territorien, keine NATO-Mitgliedschaft und keine europäischen NATO-Truppen zur Absicherung des Waffenstillstands. Damit hat Trump automatisch die Narrative von Putin übernommen, verteidigt sie auch und verbreitet sie. Er gibt damit alles auf, was bisher seit 1945 die US-Amerikaner zumindest mit Blick auf Europa als Wertepartner ausgemacht haben. Das wird absichtlich gemacht. Das ist ein Prozess, der seit einigen Jahren absehbar ist.
Absehbar seit wann genau?
Kiesewetter: Für mich war ein Schlüsselerlebnis der Februar 2024, als unser Bundeskanzler auf dem Flugsteig in den USA sagte: Wenn die Amerikaner nicht die 60 Milliarden US-Dollar liefern, dann können wir Europäer nicht einspringen. Damals sagten mir Elbridge Colby und Bryan Lanza [Trump-Stratege]: Das ist ein Krieg auf europäischem Boden, warum bringt ihr das Geld nicht auf?
Das Zweite, was Sie gesagt haben: Unsere Arbeiter haben zwölf Tage Urlaub eure 30. Wir wollen nicht mehr, dass unsere Arbeiter Wohlstandsverzicht machen, nur aufgrund eurer Bequemlichkeit. Und das Dritte war sehr heftig. Sie sagten: Zwischen 1939 und 1945 haben die Europäer es nicht geschafft, Hitler einzudämmen. Wir mussten dann in den Krieg eintreten und hatten tausende Gefallene und Verwundete.
Also die Botschaft: Das ist euer Krieg. Und die Botschaft von Scholz war an die Amerikaner: Wir Europäer können und wollen nicht. Das war für mich der Ausgangspunkt des Desasters, das wir heute erleben.
Also ist das schon auch auf die Fehler Deutschlands zurückzuführen?
Kiesewetter: Was wir Deutschen falsch machen, ist, dass wir das Sicherheitsverständnis der NB-8 [Nordic-Baltic Eight; Dänemark, Estland, Finnland, Island, Lettland, Litauen, Norwegen, Schweden] nicht verstanden haben. Ich würde in dem Kontext auch noch Polen und Tschechien nennen. Die haben die strategische Kultur, das Mindset mit Blick auf die künftigen Gefahren und Russland. Wir akzeptieren das aber nicht, weil viele bei uns immer noch glauben, dass man immer noch Sicherheit durch Handel erzielen kann.
“Warum sollen 330 Millionen Nordamerikaner die Sicherheit von 40 Millionen Ukrainern finanzieren, wenn eine halbe Milliarde Europäer es nicht tun?”
Man darf die Frage stellen: Hier, in Europa, sind mit Norwegen und Großbritannien rund eine halbe Milliarde Menschen. Dem stehen in etwa 330 Millionen Nordamerikaner gegenüber. Warum sollen 330 Millionen Nordamerikaner die Sicherheit von 40 Millionen Ukrainern finanzieren, wenn eine halbe Milliarde Europäer es nicht tun? Und warum dämmen wir 140 Millionen Russen mit dem Bruttoinlandsprodukt von Spanien nicht ein, wir haben 15-mal so viel in Europa? Das ist etwas, was die Amerikaner als Geschäftsleute nicht verstehen.
Wir sind zumindest im öffentlichen Diskurs ein bisschen weiter. Mit welchen Szenarien rechnen Sie in den kommenden Monaten für Deutschland und Europa?
Kiesewetter: Ich will mal drei Szenarien ansprechen. Ein sehr gutes, ein sehr schlechtes und ein wahrscheinliches.
Ein sehr gutes Szenario: Die Amerikaner erkennen, dass sie auf dem Irrweg sind. Sie bekräftigen beim Gipfel in Den Haag die transatlantische Partnerschaft und sagen, wir haben uns in Putin getäuscht wir stehen an der Seite der Ukraine.
Das Negativ-Szenario: Die Ukraine gerät dermaßen unter Druck, dass die Regierung Selenskyj aufgeben muss und durch einen Militärputsch ein System kommt, das sagt, wir als Ukraine wollen weiter bestehen, aber wir gehen in den Untergrund und entwickeln eine schmutzige Bombe. Putin würde erreichen, dass die Ukraine keine Perspektive mehr in Richtung NATO und EU hat und dass wir eine Massenflucht aus der Ukraine erleben, die die Gesellschaften in Europa überfordert. Das wäre das absolute Negativ-Szenario. Da würden dann z.B. auch Polen, die baltischen Staaten und Skandinavien sagen: Wir beschaffen uns eigene Nuklearwaffen, weil auf die Amerikaner kein Verlass mehr ist.
Das wahrscheinliche Szenario: Deutschland verfällt in Selbstgefälligkeit und „business as usual“ und ebnet der Ukraine keinen Weg in die EU oder die NATO. Deutschland würde sich dadurch innerhalb Europas abkoppeln und isolieren und im Grunde genommen dem Zerfall Europas Vorschub leisten, indem in Frankreich Le Pen gewählt wird und die mittelosteuropäischen Staaten und Polen ihre Sicherheit neu organisieren müssen.
Dann bliebe vielleicht eine Art „Rumpf-Ukraine“ übrig, die von den Staaten östlich von uns Sicherheitsgarantien bekommt, von denen Deutschland aber nicht viel wissen will. Es wird trotzdem eine europäische NATO und europäische Verteidigung geben, aber bei weitem nicht so glaubwürdig und schlagkräftig. Putin würde immer wieder Waffenstillstände austesten und in wenigen Jahren kommen wir dann in eine weitere Konfrontation, weil Putin seine Ziele nicht aufgeben muss und weiter an die Einverleibung von Moldau und den baltischen Staaten denkt. Erst dann würde Deutschland ernsthaft das Thema Sicherheitspolitik begreifen.
Was ich aus in den Koalitionsverhandlungen höre und sehe, das ist leider eher mehr vom Alten und nicht die Bereitschaft zu einem notwendigen Wandel hin zu mehr Sicherheit.
Herr Kiesewetter, vielen Dank für das Gespräch.